Erinnerungen der Kaiserin Katharina II.
völliger Charlatanerie hatte. Er begab sich also in das andere Zimmer und brachte eine ganz kleine Papierrolle, die er mich aufforderte, mit dem kranken Zahn zu kauen. Kaum aber hatte ich das getan, als meine Zahnschmerzen so heftig wurden, daß ich mich zu Bett legen mußte. Ein hitziges Fieber ergriff mich, ich begann zu phantasieren, und Madame Tschoglokoff, über meinen Zustand aufs höchste erschrocken, schalt ihren Bruder, dessen Mittel sie die Schuld gab. Sie verließ mein Bett die ganze Nacht nicht, ließ der Kaiserin sagen, ihr Haus in Rajowa sei durchaus kein geeigneter Aufenthalt für jemand, der so krank sei wie ich, und brachte es so weit, daß man mich am folgenden Tage, krank wie ich war, nach Moskau schaffte. Dort lag ich zwölf Tage lang im Bett, aber die Zahnschmerzen kehrten jeden Nachmittag zur selben Stunde wieder.
Anfang September begab sich Elisabeth in das Kloster Woskressenski und ließ uns den Befehl erteilen, ihr an ihrem Namenstage zu folgen. An diesem Tage machte sie Iwan Iwanowitsch Schuwaloff zum Kammerherrn. Es war dies ein großes Ereignis bei Hofe, und alle flüsterten sich zu, er sei ihr neuer Günstling. Ich freute mich besonders seines Avancements, weil ich ihn, als er noch Page war, als einen Menschen, dessen Streben viel versprach, erkannt hatte, denn stets fand man ihn mit einem Buche in der Hand.
Von diesem Ausfluge zurückgekehrt, erkrankte ich an einem von heftigem Fieber begleiteten Halsweh. Die Kaiserinbesuchte mich während dieser Krankheit. Kaum aber begann ich mich zu erholen, als Ihre Majestät mir durch Madame Tschoglokoff befehlen ließ, bei der Hochzeit der Nichte der Gräfin Rumianzoff zugegen zu sein und die Braut zu schmücken. Sie verheiratete sich mit Alexander Narischkin, der später Oberschenk wurde. Da Madame Tschoglokoff sah, daß ich kaum genesen war, tat ihr dieser Befehl leid, und auch mir konnte er nicht sehr willkommen sein, denn ich wurde dadurch gewahr, daß man sich um meine Gesundheit, ja um mein Leben wenig bekümmerte. In diesem Sinne sprach ich dann auch mit Madame Wladislawa, die von einem so rücksichtslosen und ohne Schonung gegebenen Befehle ebenfalls wenig erbaut war. Dennoch raffte ich alle meine Kräfte zusammen, und am festgesetzten Tage brachte man die Verlobte in mein Zimmer. Ich schmückte sie mit meinen Diamanten, worauf sie in die Hofkirche zur Trauung ging, während ich mich mit Madame Tschoglokoff und meinem Hofe in das Haus der Narischkins begeben mußte. Da wir aber damals in Moskau den Palast am Ende der deutschen Sloboda bewohnten, mußte man, um zu den Narischkins zu gelangen, ganz Moskau durchfahren, d.h. eine Strecke von wenigstens sieben Werst zurücklegen. Es war im Oktober gegen neun Uhr abends. Es fror Stein und Bein und das Glatteis war so schlimm, daß man sich nur Schritt für Schritt vorwärts bewegen konnte. Mindestens drei Stunden war ich auf dem Hinwege unterwegs und ebenso viel auf dem Rückwege. Es gab keinen Menschen, kein Pferd in meinem Gefolge, die nicht mehrere Male hinfielen. Als wir endlich bis zur Kasanschen Kirche in der Nähe des Tores Troitzkaja gekommen waren, stießen wir auf ein neues Hindernis. Hier fand zu dieser Stunde die Trauung der Schwester Iwan Iwanowitsch Schuwaloffs statt, welche von der Kaiserin selbst geschmückt worden war, und eine Masse von Karossen drängtesich folglich am Tore. Jeden Augenblick mußten wir stillstehen, worauf das Hinfallen von neuem anfing, da kein einziges Pferd für das Glatteis beschlagen war. Endlich langten wir, nicht gerade in der besten Stimmung, an. Wir mußten sehr lange auf die Neuvermählten warten, denen es ungefähr ebenso ging wie uns. Der Großfürst begleitete den Bräutigam, dann mußte noch die Kaiserin erwartet werden. Endlich setzte man sich zu Tisch. Nach dem Souper fanden einige Festtänze im Vorzimmer statt, worauf uns befohlen wurde, die Neuvermählten in ihre Gemächer zu geleiten. Hierbei mußte man verschiedene sehr kalte Korridore passieren, mehrere Treppen steigen, die nicht weniger kalt waren, dann durch lange, in Eile von feuchtem Bretterwerk errichtete Galerien gehen, an deren Wänden das Wasser überall herunterlief. Endlich in den Gemächern angelangt, setzte man sich an eine Tafel, auf welcher der Nachtisch serviert wurde. Aber nur einen Augenblick hielt man sich hier auf, um die Gesundheit der Vermählten auszubringen, führte dann die Braut ins Schlafgemach und entfernte sich, um nach Hause zurückzukehren. Am folgenden
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