Erinnerungen der Kaiserin Katharina II.
Stunden lang auf diese Weise unterhalten, forderte ich ihn auf, sich zu entfernen, weil ein so langes Gespräch Verdacht erregen könne. Er aber entgegnete, er werde sich nicht früher entfernen, als bis ich ihm gesagt, daß er mir gefalle, worauf ich antwortete: »Ja, ja, aber gehen Sie!« »Ich werde es mir gesagt sein lassen!« rief er und gab seinem Pferde die Sporen, doch ich entgegnete schnell: »Nein, nein!« und er wiederholte: »Ja, ja!« So trennten wir uns.
Nach dem Hause Tschoglokoff zurückgekehrt gingen wir sogleich zum Souper. Während desselben erhob sich ein heftiger Sturm, der die Wellen des Meeres so hoch peitschte, daß sie die Treppenstufen des Hauses umspülten, und die ganze Insel mehrere Fuß tief unter Wasser stand. Wir waren daher genötigt, auf der Besitzung Tschoglokoffs zu bleiben, bis Sturm und Wellen sich gelegt hatten, was erst gegen Morgen zwischen zwei und drei Uhr eintrat. Während dieser Zeit sagte mir Sergius unter andern Bemerkungen dieser Art, der Himmel sogar begünstige ihn heute und ließe ihn länger als sonst meinen Anblick genießen. Er hielt sich schon für überaus glücklich. Ich dagegen war es nicht. Tausend Befürchtungen quälten meinen Geist, und meiner eigenen Empfindung zufolge war ich an jenem Tage mürrisch und unzufrieden mit mir selbst. Ich hatte geglaubt, seine Gedanken so wie die meinigen lenken und meistern zu können, aber wie bald mußte ich einsehen, daß dies sehr schwer, wo nicht ganz unmöglich war.
Zwei Tage später teilte mir Sergius Soltikoff mit, ein Kammerdiener des Großfürsten, ein Franzose namens Bresson,habe ihm erzählt, Seine kaiserliche Hoheit hätte geäußert: »Sergius Soltikoff und meine Frau täuschen Tschoglokoff, machen ihn glauben was sie wollen und lachen dann über ihn.« Und an dieser Bemerkung des Großfürsten war in der Tat etwas Wahres. Ich riet daher Sergius, künftig etwas vorsichtiger zu sein. Einige Tage darauf bekam ich eine schlimme Halsentzündung mit starkem Fieber, die drei Wochen dauerte. Während dieser Zeit schickte die Kaiserin die Fürstin Kurakin zu mir, die ich zu ihrer damals stattfindenden Vermählung mit dem Fürsten Labanoff schmücken sollte. Sie setzte sich zu diesem Zweck im Brautkleide mit großem Reifrock auf den Rand meines Bettes und ich versuchte, so gut ich konnte, ihren Haarputz zu vollenden. Da aber Madame Tschoglokoff sah, daß ich es nicht imstande war, forderte sie die Dame auf, mein Bett zu verlassen und beendete selbst die Frisur.
Der Großfürst war damals in Fräulein Marta Isajewna Schasiroff verliebt, welche mir die Kaiserin vor kurzem zugleich mit ihrer älteren Schwester Anna Isajewna beigegeben hatte. Sergius Soltikoff, ein Dämon in Intrigen, ließ sich mit den beiden Damen ein, um zu erfahren, was der Großfürst zu den beiden Schwestern über ihn sage, was er sich dann zunutze zu machen gedachte. Die Mädchen waren arm, ziemlich einfältig, sehr interessiert und wurden wirklich nach kurzer Zeit äußerst vertraut mit ihm.
Unterdessen gingen wir nach Oranienbaum, wo ich wieder täglich ausritt und mit Ausnahme der Sonntage nur Männerkleider trug. Tschoglokoff und seine Frau waren sanft wie die Lämmer geworden. In Madames Augen besaß ich ein neues Verdienst: ich liebte nämlich eins ihrer Kinder sehr, liebkoste es oft, machte ihm Kleider und schenkte ihm Gott weiß was für Spielzeug und allerlei Tand. Die Mutter war in den Knaben rein vernarrt, der indes später ein Taugenichtswurde und sich wegen seiner Streiche eine fünfzehnjährige Festungshaft zuzog. Sergius Soltikoff war der Freund, Vertraute und Ratgeber der Tschoglokoffs geworden. Wie aber konnte ein Mensch, der gesunden Menschenverstand hatte, sich der Qual unterwerfen, das unsinnige Geschwätz von zwei hochmütigen, anmaßenden und egoistischen Narren den ganzen Tag lang anzuhören, ohne daß er ein großes Interesse dabei gehabt hätte? man ahnte, man setzte voraus, was ihn dazu bewog, und das Gerücht gelangte nach Peterhof zu den Ohren der Kaiserin. Nun geschah es damals sehr häufig, daß Ihre Majestät, wenn sie Lust hatte zu schelten, nicht immer ihren Zorn direkt gegen das richtete, was ihn mit Recht hätte erregen können, sondern den Vorwand dazu von einer Seite hernahm, von der man es am wenigsten erwartete. In Oranienbaum war unser ganzer Hof, Herren sowohl wie Damen, übereingekommen, sich für den Sommer Anzüge von derselben Farbe machen zu lassen, oben grau und unten blau, mit einer Jacke aus
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