Erinnerungen der Kaiserin Katharina II.
werden. Als er kam und meine geröteten, angeschwollenen Augen sah, glaubte er, ich habe geweint – und er täuschte sich nicht. Langeweile, physisches und moralisches Unbehagen über meine Situation hatten mich in tiefe Melancholie versetzt. Den ganzen Tag hatte ich bei Madame Tschoglokoff auf die gewartet, die nicht kamen, während sie jeden Augenblick zu mir sagte: »Es ist schrecklich, wie man uns allein läßt.« Ihr Gatte hatte anderswo diniert, und die ganze Gesellschaft war ihm gefolgt. Und trotz aller Versprechungen, sich von der Tafel fortstehlen zu wollen, kam Sergius Soltikoff erst mit Tschoglokoff zurück. Alles dies verstimmte mich.
Einige Tage später erhielten wir endlich die Erlaubnis, nach Liberitza überzusiedeln. Hier fühlten wir uns wie im Paradiese. Das Haus war ganz neu und sehr bequem eingerichtet, jeden Abend wurde getanzt, und unser ganzer Hof war hier versammelt. Auf einem dieser Bälle bemerkten wir, wie der Großfürst sich einmal besonders lange mit Tschoglokoff flüsternd unterhielt. Darauf erschien der letztere traurig, träumerisch, verschlossener und mürrischer als je. Als Sergius Soltikoff dies sah und bemerkte, daß Tschoglokoff ihm mit besonderer Kälte begegnete, setzte er sich zu Fräulein Martha Schasiroff und suchte von ihr zu erfahren, was es mit der so ungewohnten Vertraulichkeit des Großfürsten für eine Bewandtnis haben könne. Sie antwortete ihm, daß sie zwar die Ursache nicht kenne, aber der Großfürst habe öfter gegen sie geäußert: »Sergius Soltikoff und meine Frau täuschen Tschoglokoff auf eine unerhörte Weise. Tschoglokoff ist in die Großfürstin verliebt, aber sie kann ihn nicht ausstehen. Sergius Soltikoff ist sein Vertrauter und macht ihn glauben, daß er sich bei meiner Frau für ihn bemühe, statt dessen aber bemüht er sich bei ihr nur für sich selbst. Und sie, sie kann den amüsanten Sergius Soltikoff sehr wohl leiden. Sie bedient sich seiner, um Tschoglokoff zu beherrschen wie sie will, und im Grunde macht sie sich über alle beide lustig. Ich muß diesem armen Teufel von Tschoglokoff, der mir leid tut, die Augen öffnen, muß ihm die Wahrheit sagen, und er wird dann sehen, wer sein Freund ist, meine Frau oder ich.« Nachdem Sergius diese gefährliche Aeußerung und die unangenehme Situation, die daraus hervorging, in Erfahrung gebracht, erzählte er mir alles wieder und setzte sich dann zu Tschoglokoff, den er fragte, was ihm fehle. Dieser wollte sich anfangs nicht aussprechen, seufzte einmal um das andere, beklagte sich dann, wie schwer es sei, treue Freunde zu finden, bis ihn endlich Sergius einemderartigen Kreuzverhör unterzog, daß er den ganzen Inhalt seiner Unterredung mit dem Großfürsten gestand. Der Großfürst hatte damit begonnen, Tschoglokoff die größten Versicherungen seiner Freundschaft zu geben, und bemerkt, nur in bedrängten Lebenslagen könne man die wahren von den falschen Freunden unterscheiden. Um ihm die Aufrichtigkeit der seinigen zu beweisen, wolle er mit ihm über eine wichtige Angelegenheit ganz offen sprechen. Er wisse, daß er in mich verliebt sei und rechne es ihm nicht als Verbrechen an, denn ich könne ihm ja liebenswürdig erscheinen, man sei nicht immer Herr seines Herzens. Aber er müsse ihn unbedingt darauf aufmerksam machen, daß er seine Vertrauten schlecht wähle, denn er nehme ohne weiteres an, Sergius Soltikoff sei sein Freund und bemühe sich bei mir für ihn, während er in Wahrheit nur sein eigenes Interesse im Auge habe und ihn als seinen Nebenbuhler mit Mißtrauen betrachte. Ich indes mache mich über beide lustig. Wenn aber Tschoglokoff seinem Rate folgen und sich ihm, dem Großfürsten, anvertrauen wolle, so werde er sehen, daß er sein einziger und wahrhafter Freund sei. – Tschoglokoff hatte dem Großfürsten aufs lebhafteste für sein Vertrauen und seine Freundschaftsbeteuerungen gedankt, im Grunde aber alles als Grille und persönliche Phantasie behandelt.
Man kann sich leicht vorstellen, daß Tschoglokoff keinesfalls großes Vertrauen in einen Freund setzen konnte, der durch seine hohe Stellung sowohl als durch seinen Charakter ebenso unsicher als nutzlos war. Nachdem er sich ausgesprochen, kostete es Sergius Soltikoff daher keine große Mühe, Ruhe und Heiterkeit in Tschoglokoffs Seele wieder zurückzuführen, zumal letzterer gewöhnt war, den Reden eines Menschen, der keines Urteils fähig und als einsichtsloser Tropf bekannt war, wenig Bedeutung und Aufmerksamkeit beizumessen.Ich
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