Erinnerungen der Kaiserin Katharina II.
Palais wohnte. Als sie zu ihm kamen, erkundigte er sich nach den Details ihres Spazierritts, und Sergius Soltikoff sagte mir nachher, aus seinen Fragen sei hervorgegangen, daß er sich nicht getäuscht.
Seit diesem Tage nahm die Krankheit Tschoglokoffs eine mehr und mehr bedenkliche Wendung. Am 21. April, meinem Geburtstag, erklärten ihn die Aerzte für verloren. Man setzte sofort die Kaiserin davon in Kenntnis, und sie befahl, wie siein ähnlichen Fällen zu tun pflegte, den Kranken in sein eigenes Haus zu schaffen, damit er nicht im Schlosse stürbe, weil sie sich vor Toten fürchtete. Als ich von dem Zustande, in welchem Tschoglokoff sich befand, hörte, bedauerte ich ihn sehr, denn gerade zu jener Zeit war es uns endlich nach vieler Mühe und Arbeit gelungen, ihn nicht nur weniger schlecht und böswillig zu machen, sondern auch mit ihm umzugehen und selbst etwas bei ihm auszurichten, weil man seinen Charakter schließlich kennen gelernt hatte, was seine Frau betraf, so liebte sie mich damals aufrichtig; aus einem strengen, bösen Argus war eine treue und ergebene Freundin geworden. Tschoglokoff lebte in seinem Hause noch bis zum 25. April, dem Krönungstag der Kaiserin, an welchem er nachmittags verschied. Da ich fast jeden Augenblick nach ihm fragen ließ, teilte man mir die Nachricht von seinem Tode sofort mit, worüber ich wahrhaft traurig war und lange weinte, während der letzten Lebenstage ihres Gatten war auch Madame Tschoglokoff ans Bett gefesselt gewesen, und so lag er in dem einen, sie in dem andern Flügel des Hauses krank darnieder. Sergius Soltikoff und Leon Narischkin befanden sich gerade in dem Zimmer Madame Tschoglokoffs, als ihr Gemahl starb. Da die Fenster offen standen, flog ein Vogel herein und setzte sich auf den Rand der Türfassung dem Bette gegenüber, worin Madame Tschoglokoff lag. Als sie den Vogel bemerkte, rief sie: »Ich glaube, mein Mann hat soeben seinen Geist aufgegeben; lassen Sie fragen, was daran Wahres ist!« Und in der Tat brachte man ihr die Botschaft, daß er soeben gestorben sei. Hierauf bemerkte sie, dieser Vogel sei die Seele ihres Gatten gewesen, und als man ihr beweisen wollte, daß es ein ganz gewöhnlicher Vogel sei, der sich nur verirrt hätte, war er nicht mehr da. Man versicherte ihr, er sei fortgeflogen, aber da niemand ihn fliegen gesehen hatte, blieb sie überzeugt, es seidie Seele ihres Gemahls gewesen, die sie aufgesucht habe.
Nach der Bestattung Tschoglokoffs wollte seine Frau mich besuchen. Als aber die Kaiserin sie über die Jausabrücke kommen sah, schickte sie ihr einen Boten entgegen, der ihr meldete, daß sie ihres Dienstes bei mir enthoben sei und in ihre Wohnung zurückkehren möge. Es mißfiel Ihrer Majestät, daß sie als Witwe so bald ausging. Denselben Tag ernannte sie Alexander Iwanowitsch Schuwaloff zu dem Posten des verstorbenen Tschoglokoff beim Großfürsten. Dieser Schuwaloff war, allerdings nicht an sich selbst, sondern durch die Stellung, welche er einnahm, der Schrecken des Hofes, der Stadt und des ganzen Reiches. Er war Präsident des Tribunals der Staatsinquisition, welche damals die geheime Polizei genannt wurde. Seine amtliche Tätigkeit hatte ihm, wie man sagte, eine Art konvulsivischer Zuckungen zugezogen, die, so oft er Freude, Zorn, Furcht oder Unruhe empfand, die ganze rechte Seite seines Gesichtes vom Auge bis zum Kinn verzerrten. Es war daher sehr zu verwundern, wie man diesen Mann mit einer so abschreckenden Fratze hatte wählen können, fortwährend in der Gesellschaft einer jungen Frau zu sein, die guter Hoffnung war. Hätte ich ein mit dieser unglücklichen Gewohnheit behaftetes Kind zur Welt gebracht, so würde die Kaiserin sicherlich sehr ärgerlich gewesen sein. Und doch hätte nichts leichter geschehen können als das, da ich ihn fortwährend sah, aber niemals gern, vielmehr meist mit einem Gefühl unwillkürlicher Abneigung wegen seiner Persönlichkeit, seiner Verwandten und seines Amtes, von welch letzterem man sehr bezweifelte, ob der gesellschaftliche Zustand dadurch gebessert werde. Allein dies sollte nur der Anfang der schönen Zeit sein, die man uns, besonders aber mir, bereitete.
Tags darauf meldete man mir, daß mir die Kaiserin wieder die Gräfin Rumianzoff beigeben werde. Da ich wußte,daß sie die verschworene Feindin Sergius Soltikoffs war, daß sie ferner die Fürstin Gagarin ebenso wenig liebte, als ihn, und einst meiner Mutter bei der Kaiserin großes Unrecht getan hatte, verlor ich für einen
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