Erinnerungen der Kaiserin Katharina II.
wird etwas davon erfahren; wir werden schon die nötigen Vorsichtsmaßregeln treffen.« – »Wieso?« – »Ich werde Sie in ein oder zwei Stunden von hier abholen, während der Großfürst zu Abend ißt« – schon lange nämlich blieb ich unter dem Vorwande, daß ich nicht soupieren wollte, auf meinem Zimmer – »er wird einen Teil der Nacht bei Tafel zubringen, wird ganz betrunken sein und sich dann schlafen legen« – er schlief seit meiner Niederkunft meist in seinem Zimmer. »Zur größeren Sicherheit legen Sie Männerkleider an, und dann wollen wir zusammen zu Anna Nikitischna Narischkin gehen.« Das Abenteuer fing an, mich zu reizen, umsomehr, da ich immer allein in meinem Zimmer mit meinen Büchern war, ohne alle Gesellschaft. Endlich, nachdem ich mich mit ihm über diesen an sich tollen Plan, der mir gleich anfangs sehr gewagt erschien, gestritten hatte, sah ich doch die Möglichkeit darin, mir für einige Augenblicke Vergnügen und Heiterkeit zu verschaffen. Er ging. Ich rief meinen kalmückischen Friseurund befahl ihm, mir einen meiner Herrenanzüge und alles dazu Nötige zu bringen, weil ich jemand ein Geschenk damit machen wollte. Dieser Bursche pflegte den Mund nicht aufzutun, und man hatte mehr Mühe, ihn zum Sprechen zu bringen, als andere zum Schweigen. Er führte also meinen Auftrag pünktlichst aus und brachte mir alles, was ich brauchte. Ich schützte Kopfschmerzen vor und ging sehr früh zu Bett. Sowie Madame Wladislawa mich zur Ruhe gebracht und sich zurückgezogen hatte, stand ich wieder auf und zog mir meinen Herrenanzug an; meine Haare arrangierte ich so gut ich konnte, denn ich war darin seit langer Zeit geübt und nicht ungeschickt. Zur bestimmten Stunde miaute Leon Narischkin, der durch die Gemächer des Großfürsten gekommen war, an meiner Tür und ich öffnete ihm. Wir gingen durch ein kleines Vorzimmer in die Halle, setzten uns in seinen Wagen, ohne daß uns jemand gesehen hätte, und lachten wie toll über unsern Streich. Leon bewohnte mit seinem Bruder und dessen Frau ein und dasselbe Haus. Bei unserer Ankunft fanden wir Anna Nikitischna, sowie den Grafen Poniatowski vor. Leon stellte mich als einen seiner besten Freunde vor, den er gut aufzunehmen bat, und der Abend verging in der ausgelassensten Lustigkeit. Nach anderthalbstündigem Besuch verließ ich sie und kam glücklich und wohlbehalten wieder nach Hause, ohne daß eine Menschenseele uns begegnet wäre. Am folgenden Tage, dem Geburtstage der Kaiserin, war morgens Cour und abends Ball bei Hofe. Wir konnten uns nicht ansehen, ohne laut über unsern tollen Streich vom Abend vorher zu lachen. Einige Tage später schlug Leon einen Gegenbesuch vor, der mir gelten sollte. Wieder brachte er auf gleiche Weise seine Gäste in mein Zimmer, ohne daß irgend jemand etwas davon merkte. So begann das Jahr 1756. Wir fanden ein eigentümliches Vergnügen an diesen nächtlichen Zusammenkünften. JedeWoche hatten wir mindestens eine oder zwei, ja sogar drei, bald bei dem einen, bald bei dem andern, und wenn einer von der Gesellschaft unpäßlich war, ging man natürlich zu ihm. Bisweilen verabredeten wir uns auch im Theater, ohne einander zu sprechen, durch gewisse vorher ausgemachte Zeichen – obwohl wir in verschiedenen Logen und einige sogar im Parterre saßen – wo wir zusammen kommen wollten; und niemals gab es ein Mißverständnis. Zweimal indes war ich genötigt, zu Fuß nach Haus zu gehen, aber das war ein Spaziergang für mich.
Siebzehntes Kapitel.
Krieg mit Friedrich II. – Die Marschallin Apraxin. – Man sucht den Großfürsten immer mehr von mir zu entfernen. – Er ist in Madame Teploff verliebt. – Zweifelhafte Ehrenhaftigkeit der »Ehrendamen« der Kaiserin. – Der Großfürst liebt nur im Winter. – Ankunft der Kadetten in Oranienbaum. – Melgunoff. – Ich nehme wieder Reitstunden. – Madame Schuwaloff und ihre Tochter. – Graf Poniatowski und Graf Horn. – Verräterische Zutunlichkeit des Bologneser Hündchens. – Fürst und Fürstin Galitzin. – Intrige der letzteren. – Aufregende Szene mit dem Großfürsten. – Abberufung Sir Williams'.
Man rüstete sich zum Kriege mit dem Könige von Preußen. Zufolge ihres Vertrages mit dem Hause Oesterreich mußte die Kaiserin 30 000 Mann Hilfstruppen stellen. Dies war wenigstens die Ansicht des Grafen Bestuscheff. Aber Oesterreich wollte, daß Rußland es mit allen seinen Streitkräften unterstützte. Der Wiener Gesandte Graf Esterhazy intrigierte dafür mit aller
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