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Erinnerungen der Nacht

Erinnerungen der Nacht

Titel: Erinnerungen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: MAGGIE SHAYNE
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Entsetzen, dass ich keinerlei Einfluss darauf haben würde, was mit meinem Kind geschah, wenn es erst einmal zur Welt gekommen war.
    Aber in diesen langen Monaten meiner Gefangenschaft erfuhr ich noch etwas anderes. In diesen langen Monaten der Einsamkeit, wie ich sie noch niemals erlebt hatte. Während das Kind in meinem Bauch heranwuchs, ich spürte, wie es lebte und sich schließlich auch bewegte, begann ich, mit ihm zu reden. Schlang die Arme um meinen aufgeblähten Bauch und streichelte es. Sang ihm sogar etwas vor. Meine Stimme hatte eine übernatürliche Kraft und Reinheit bekommen, die mich selbst überraschte. Ich hatte immer gern gesungen, aber nun hatte ich sogar Freude daran. Mein Gesang war tatsächlich fast engelsgleich. Und im Lauf der Zeit wurde mir klar, dass ich das Baby in mir liebte. Sie – aus unerfindlichen Gründen war ich sogar überzeugt davon, dass es ein Mädchen werden würde – war das einzige Lebewesen, mit dem ich während dieser schlimmen Zeit sprechen konnte. Als Teil von mir schloss ich sie ins Herz. Und ich liebte sie mit jeder Faser meines Daseins. Ich hatte im Leben nie damit gerechnet, dass ich einmal Mutter sein würde. Ich hätte mir nie vorstellen können, ein Kind zu haben. Doch jetzt konnte ich mir nicht mehr vorstellen, keins zu haben. Das Kind, das sie mir so sicher wegnehmen würden, wie die Sonne jeden Morgen aufging. Sie würden versuchen, sie mir wegzunehmen.
    Und ich würde lieber sterben, als das zuzulassen.
    Hin und wieder schlich sich Hilary in den Hochsicherheitstrakt hinunter und sah nach der verängstigten jungen Frau, die sie dort gefangen hielten. Und einmal, während der Endphase des Experiments, hörte sie einen Gesang, der sie in ihrem tiefsten Innern berührte. Den reinsten, engelhaftesten Gesang, den sie je in ihrem Leben gehört hatte.
    Sie schlich näher zu der Zelle und blickte durch die Scheibe aus Sicherheitsdrahtglas. Und sah die Frau. Blass und mager, abgesehen von dem runden Bauch. Ihr Name war Angelica, doch das DPI bezeichnete sie nur mit einer Nummer. Ihr Haar glänzte wie schwarzer Satin, lang und üppig, und sie hatte große lila Augen. Die Farbe wirkte ganz erstaunlich, obwohl Tränen, die aus den lila Tiefen der Augen hervorquollen, sie verwässerten.
    Sie saß auf dem Boden der Zelle, Ketten an Armen und Beinen. Sie hielt den Bauch umarmt, wiegte sich langsam hin und her und sang „Amazing Grace“ so wunderbar, dass Hilary Tränen in die Augen traten.
    Und dann verstummte sie plötzlich unvermittelt, hob den Kopf und sah Hilary durch die Glasscheibe in die Augen. Und Hilary konnte sich nicht abwenden. Das Mädchen wirkte so traurig, so verängstigt und so durch und durch allein. Schrecklich, was diese Organisation ihr antat. Einfach schrecklich.
    Und wenn ich versuche, ihr zu helfen, dachte sie, dann töten sie mich. Sie töten mich, und ich verschwinde, genau wie Tamara .
    Aber anscheinend war Tamara ja gar nicht verschwunden. Aus der Gerüchteküche des DPI erfuhr Hilary, dass Tamara schon vor Jahren eine von ihnen geworden sein sollte. Ein Vampir wie die, denen sie helfen wollte. Wäre das möglich? Könnte Tamara irgendwo da draußen sein?
    Hilary verdrängte den Gedanken und betrachtete wieder die Frau in der Zelle. Und sie bemerkte diesen flehentlichen Ausdruck in ihren Augen. Sie musste wenigstens versuchen, ihr zu helfen.
    Sie schloss ihre Augen und wandte sich ab. Der Gesang der jungen Frau erfüllte von Neuem den gesamten Trakt, und als Hilary an den anderen Zellen vorbeiging, bemerkte sie, wie die Gefangenen darin ihre Augen schlossen und sich von dieser Schönheit verzaubern ließen.
    Hilary rannte aus dem Zellentrakt zu den Fahrstühlen, um dieser traurigen Stimme zu entfliehen. Doch sie hörte sie auch noch, als sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte. Und sie sah diese wunderschönen Augen, die sie anflehten, ihr zu helfen.
    An diesem Abend fiel es Hilary besonders schwer, die Stabssitzung in Fullers Büro zu ertragen. Und noch schwerer, ganz unbeteiligt zu wirken. Dennoch schaffte sie es, war am Ende sogar mit sich zufrieden.
    Bis schließlich Rose Sversky mit ihrer schrecklichen Analyse herausrückte. „Wir können es nicht per Kaiserschnitt holen“, sagte sie. „Die bluten wie Hämophile. Die Mutter würde wahrscheinlich verbluten, bevor wir das Kind haben, und dann würden wir sie beide verlieren.“
    „Dann soll es eine natürliche Geburt sein“, sagte Fuller und stopfte stinkenden Tabak in seine widerliche

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