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Erinnerungen der Nacht

Erinnerungen der Nacht

Titel: Erinnerungen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: MAGGIE SHAYNE
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sagte ich. „Ich bin genauso stark wie du.“
    Er verdrehte die Augen. „Erinnere mich daran, dass ich mich bei Rhiannon dafür bedanke, dass sie dir das gesagt hat, ja?“
    Sein Sarkasmus war nicht gemein. Nicht ätzend. Und ich lächelte fast darüber. Vielleicht hatte diese kleine Anstrengung die Anspannung zwischen uns beseitigt.
    Nein. Das brauchten wir nicht. Aber es war besser als nichts.
    Und dann hörte ich etwas. Einen Schrei, sehr weit entfernt. Den Schrei … eines Kindes. Und das Wimmern und Schreien wurde lauter und beharrlicher.
    „Das Baby“, flüsterte ich. Und als Jameson mir in die Augen sah, war jegliche Feindschaft daraus verschwunden. Wir drehten uns beide um und rannten so schnell wir konnten in die Richtung, aus der der Ruf erklungen war. Einen bewaldeten Hügel flogen wir hinab, brachen durch dichtes Unterholz und Dornengestrüpp und taumelten regelrecht auf den Schotterweg, der unten verlief.
    „Da!“, rief Jameson. Ich drehte mich um und sah eine Frau reglos am Boden liegen. Mit einem einzigen Sprung war ich neben ihr, hob Kopf und Schultern an und schüttelte sie.
    „Aufwachen! Wo ist sie? Sagen Sie mir, wo meine Tochter ist!“
    Sie schlug benommen die Augen auf. Mit einem panischen Blick sah sie sich um. Und dann schrie sie und drückte die Handflächen ans Gesicht. Sie schrie und schrie und hörte gar nicht mehr auf.
    Ich folgte ihrem Blick, und dann sah ich das umgestürzte Auto. Es lag auf dem Dach. Das darin gefangene Kind heulte vor Angst. Die Flammen, die von der Unterseite des Automobils in den Nachthimmel loderten, kamen dem Benzintank immer näher.
    „Mein Baby!“, schrie die Frau immer wieder. „Bitte retten Sie mein Baby!“
    Ihr Baby. Nicht meins. Es war nicht mein Baby, das in dem brennenden Auto gefangen war.
    „Beeilung!“, rief sie und wollte aufstehen. „Beeilen Sie sich um Himmels willen, der Benzintank!“ Und dann brach sie zusammen und wurde von Schluchzen geschüttelt.
    Ich konnte nicht glauben, was ich sah. Jameson kletterte über das Fahrzeug zur Tür. Die Flammen – ich hatte mit eigenen Augen gesehen, was für eine verheerende Wirkung Feuer auf Vampire hatte – loderten um ihn herum. So nahe an seinem Körper …
    Ich stand auf, ließ die Frau liegen, ging näher hin. Der Vampir riss die Tür ab und schleuderte sie in hohem Bogen in die Nacht. Gut, dass die Mutter ihn in der Dunkelheit nicht sehen konnte. Und dann kroch Jameson hinein und zerrte an den Gurten, die das Kind festhielten. Nicht weniger als dreimal musste er aufhören und Flammen ersticken, die auf seine Kleidung übergriffen. Aber jedes Mal ging er wieder zu dem Kind zurück.
    Ich rannte zu ihm hin, als er gerade mit dem Baby auf dem Arm herauskroch. Er lief zu mir, drückte mir das Kind in die Arme, ließ sich auf die Knie fallen, und da erst sah ich, dass seine empfindliche Vampirhaut schwelte. Dünne Rauchfahnen stiegen empor in den Nachthimmel wie Gespenster. Er sah mich einen Moment direkt an, und ich erkannte den Schmerz in den schwarzen Augen. Und dann spürte ich es, die heiße Verbrennung, die seine Haut zerfraß, als wäre es mein eigener Schmerz. Er erhob sich, stolperte von uns weg, und da sah ich in der Ferne den Bach fließen. Ich hörte das Platschen, als er dort anlangte, und das brennende Gefühl auf meiner Haut ließ nach, aber nicht die Höllenqualen.
    Das Baby gurrte und murmelte und zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich sah hinab und drückte es zärtlich an die Brust, konnte den Blick nicht abwenden. Es brach mir fast das Herz. Das dichte Haar war nicht rabenschwarz, sondern rot. Die Augen nicht dunkel, sondern babyblau. Und die feisten Wangen und das Doppelkinn verrieten mir, dass das Baby um einiges älter sein musste als meine Amber Lily.
    Mit einer pummeligen Hand griff es nach oben, nahm eine Strähne meines Haars und zog übermütig daran.
    „Bitte …“
    Ich schaute auf. Der Mutter war es gelungen aufzustehen, jetzt stand sie vor mir. Das Gesicht voller Blutergüsse, Haare zerzaust, blutende Lippe. Sie streckte die Arme nach dem Kind aus, während ihr Tränen über das Gesicht liefen.
    Ich schluckte heftig. Wie gut konnte ich ihre Gefühle verstehen. Ihr Kind. Ich beugte mich hinab, hauchte dem Baby einen Kuss auf die seidenweiche Wange und gab es dann der liebenden Mutter in die Arme.
    Sie drückte das Baby fest an sich, während ihr ganzer zierlicher Körper von einem Weinkrampf durchgeschüttelt wurde. Da ertönten Sirenen in der Ferne. Ein weiteres

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