Erinnerungen der Nacht
…“
„Tamara …“, stöhnte Eric und bäumte sich in seinen Fesseln auf.
Rhiannon kniff die Augen zusammen. „Aufhören! Hört auf mit diesen Bekenntnissen auf dem Totenbett. Wir sind noch lange nicht am Ende!“ Ihre Stimme klang jedoch nicht so überzeugend wie sonst.
Denn sie wusste genau, wenn die Sonne aufging und ihr Licht in dieses Loch strahlen ließ, bedeutete dies das Ende für sie alle.
„Verdammt!“, brüllte Jameson. „Verdammt, ich hätte euch da nicht mit reinziehen dürfen. Ich wusste es. Ich wusste, dass ich euch allen nur Ärger machen würde.“
„Wir sind eine Familie, Jameson“, sagte Roland leise und gelassen. „Wir mussten uns da mit reinziehen lassen.“
„Wenigstens hat dein Kind noch eine Chance, Jamey“, flüsterte Tamara. „Angelica findet es und bringt es in Sicherheit.“
„Mein Kind wird nie eine Chance haben“, brüllte er, und die Wut erfüllte seine ganzen Eingeweide, „bis das DPI vernichtet ist. Verdammt, wann begreift ihr das endlich? Wir hätten sie schon vor langer Zeit vernichten müssen. Die geben erst Ruhe, wenn der Letzte unseres Volkes ausgerottet ist, ich weiß es. Und ihr auch.“
Sie sagten nichts. Sahen sich nur mit schuldbewussten Mienen an. Sie mussten ihm nicht sagen, dass er recht hatte. Vielleicht glaubten sie es ja immer noch nicht. Aber Jameson wusste es. Eines Tages würde sich jemand erheben. Jemand würde eine Revolte anführen, und das wäre das Ende des DPI. Er wollte derjenige sein. Doch jetzt sah es so aus, als würde die Aufgabe einem anderen zufallen.
Vielleicht seiner Tochter.
Jameson senkte den Kopf, schloss die Augen und konzentrierte sich mit aller Anstrengung auf Angelica. Finde sie, Angel. Mein wunderschöner dunkler Engel. Finde sie und bring sie in Sicherheit. Ich kann nicht für sie da sein. Für mich ist es vorbei. Aber du kannst es. Du musst es. Rette sie, Angel, und erzähl ihr von mir. Erzähl ihr von ihrem Vater. Erzähl ihr … dass er sie geliebt hat.
Ich blieb stehen. Ich war nicht sicher, warum, doch ich spürte etwas. Ein Gefühl. Und dann strömte Jamesons Stimme in meinen Geist. Sein Abschied. Sein Lebewohl. Und mir brach das Herz. „Nein!“, schrie ich und schüttelte die Faust zum Nachthimmel. „Mach das nicht, Vampir! Verlass mich nicht!“
Aber es kam keine Antwort mehr. Ich versuchte, ihn mit meinen geistigen Fähigkeiten zu orten, doch es gelang mir nicht. Ich schluchzte, bis ich mich durch und durch geschwächt fühlte.
Ich musste ihn finden. Und meine Tochter. Und das würde ich. Verdammt, das würde ich! Ich lief durch den Wald, streckte die geistigen Antennen aus, suchte, sondierte.
Jemand war in der Nähe.
Ich beendete meinen panischen Lauf und ging langsam im Kreis. Und dann hörte ich es. Ein leises Stöhnen, kehlig und gequält. Und einen Moment erinnerte ich mich an jene Nacht, die eine Lebensspanne zurückzuliegen schien. Die Nacht, als mich ein ähnliches Geräusch in eine Gasse lockte, wo ein Albtraum auf mich wartete.
Jeder Nerv in mir erwachte zum Leben. Hellwach wandte ich mich der Quelle des Geräuschs zu. Und sah nur einen umgestürzten Baumstamm. Das Stöhnen ertönte wieder.
Ich machte die Augen zu, ließ meine Sinne gleiten, erspürte die Luft um mich herum. Es musste eine Person in der Nähe sein. Eine sehr schwache Sterbliche mit großen Schmerzen. Lautlos trat ich näher. Und dann sah ich sie. Sie lag reglos inmitten der Büsche, Blut umgab sie.
Ohne zu zögern lief ich hin. Braune Augen blickten mir entgegen, als ich zu ihr trat, und ich kannte sie. Das war die dunkelhäutige Frau mit den gütigen Augen. Die dabei gewesen war, als meine Tochter zur Welt kam. Die ohne ein Wort zu sagen versprochen hatte, meinem unschuldigen Baby zu helfen.
Hilary Garner. Sie lag reglos da und war dem Tode nahe. Ihr Körper war von Kugeln durchlöchert, und aus jedem Einschussloch floss Blut.
„Sie“, flüsterte sie, als koste es sie enorme Anstrengung zu sprechen.
„Ich bin hier“, sagte ich und strich ihr das Haar aus dem Gesicht. „Reden Sie nicht, ich helfe Ihnen. Alles wird gut.“
„Nein.“ Sie schüttelte schwach den Kopf. „Sie können … nichts mehr tun. Es genügt … dass Sie hier sind.“
Und doch drückte ich die Hände auf die Wunden in ihrer Brust und versuchte, die Blutungen zu stillen.
„Ich habe …“, krächzte sie, „Gott gebeten … mir einen Engel zu schicken. Und … er hat Sie geschickt.“
Ich war schockiert über ihre Worte. Engel. Angel.
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