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Erinnerungen der Nacht

Erinnerungen der Nacht

Titel: Erinnerungen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: MAGGIE SHAYNE
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So nannte Jameson mich immer. Aber ganz gewiss hatte Gott keinen Einfluss mehr auf mein Leben. Sicher hatte er meine Schritte nicht geleitet. Ganz bestimmt gehörte ich nicht mehr zu seinem Plan.
    Oder doch?
    „Sie … haben sie geholt. Sie haben … das Baby …“
    „Ich hole sie mir wieder“, sagte ich, riss Stoffstreifen von meinem Kleid ab und drückte sie auf die Verletzungen.
    „Er … beschützt sie“, sagte sie leise. „Er hat es versprochen … ich habe es versprochen.“
    „Ich schulde Ihnen mehr, als ich Ihnen je vergelten kann, Hilary Garner“, flüsterte ich.
    „White Plains“, sagte sie und wurde immer schwächer. „Die wollen versuchen, sie … dorthin zurückzubringen.“
    „Ich hole sie. Keine Bange, ich finde sie.“
    Sie hielt mein Handgelenk mit ihrer zarten Hand, als ich gerade eine weitere Blutung stillen wollte. „Die … anderen … zuerst.“
    Ich sah sie stirnrunzelnd an.
    „Route … 10“, keuchte sie und biss sich auf die Lippe. „Zwölf Meilen nördlich. Eine alte … Holzfällerstraße … zweigt nach Osten ab.“
    „Und was ist da, Hilary? Werden die anderen dort festgehalten?“
    Sie nickte, die Augen fielen ihr zu. Doch dann riss sie sie verzweifelt wieder auf. „Die Grube“, flüsterte sie. „Tot im Morgengrauen … alle …“
    Ich hielt inne und spürte Eiseskälte in mir. „Im Morgengrauen?“ Mein Gott, wie sollte ich das anstellen? Wie sollte ich allein die anderen vor Sonnenaufgang retten? Unmöglich.
    „Ich … wusste es nicht“, fuhr die geschwächte Frau fort. „All die Jahre … für sie gearbeitet … wusste nicht … ich schwöre …“
    „Das weiß ich. Sie sind eine anständige Frau, Hilary. Eine gütige, fürsorgliche Frau.“
    „B-beten Sie für mich … Schwester … beten Sie … für mich …“
    Ich schloss die Augen, da ich die Qualen dieser Frau spürte. Und wegen ihrer Bitte. „Ich kann nicht …“
    „Doch. Sie können. Gott hat Sie geschickt … damit Sie mich finden. Er … hört Sie noch.“
    Tränen brannten in meinen Augen. Ich wollte so sehr glauben, dass es stimmte. Aber es war nicht wichtig in diesem Moment, ich durfte ihr diesen kleinen Trost nicht verweigern. Ich senkte den Kopf. „Vater unser“, flüsterte ich, „der du bist im Himmel …“
    Eine Zeit lang formte sie die Worte mit dem Mund, doch schon vor dem Ende hörte sie damit auf. Ein sanftes Lächeln umspielte ihre Lippen, dann öffnete sie die großen, glänzenden Augen. „Danke.“ Und dann sah sie an mir vorbei und streckte die Hand nach etwas aus, das ich nicht sehen konnte. „Ja“, flüsterte sie. „Ja … jetzt halte ich mein Versprechen.“ Sie entspannte sich und schloss die Augen. Ihre Hand fiel zu Boden. Und einen Augenblick schien mir, als wäre ihr lebloser Körper von einem weißen Leuchten umgeben. Einem Leuchten, das wie Nebel von regennassem Boden aufzusteigen schien. Aber da war nichts, als ich wieder hinsah. Und ich dachte an das verlassene Farmhaus nicht weit von hier.
    Ich begrub Hilary Garner in einem flachen Grab, das ich mit den bloßen Händen aushob. Dann sammelte ich die Steine in der Nähe ein und errichtete eine Art Grabhügel daraus. Ich wusste, das genügte. Nichts würde dieses Grab stören. Ich spürte es.
    Dann stand ich mit wackeligen Beinen auf und wandte mich in die Richtung, die mich zur Straße führen würde.
    Stiles fuhr, während Special Agent Keller – der Grünschnabel, der mit dem Baby in den Armen verstört aus dem Wald gekommen war – auf dem Rücksitz saß. Er saß mit gezückter Waffe neben dem Baby und sah mit großen Augen in den dunklen Wald. Er hatte Angst. Stiles sah es den Leuten an, wenn sie Angst hatten, und dieser Grünschnabel zeigte alle Symptome.
    Eigentlich konnte er mit einem verstörten Grünschnabel bei so einem Unternehmen nichts anfangen. Wenn er das Kind wieder verlor, würde Whaley ihm den Kopf abreißen.
    Sie hatten Petersville fast erreicht. Stiles blickte automatisch in den Rückspiegel und sah nach seinen Passagieren, und dann vergewisserte er sich nochmals, denn er konnte die Kleine im Spiegel nicht besonders gut erkennen. Sie hatte die Decke weggestrampelt und lutschte am Daumen wie jedes normale Baby auch.
    Sein Magen verkrampfte sich ein wenig, als sich sein Gewissen zu Wort meldete. Was, wenn das Mädchen … normal war? Wenn sie nicht nach diesen Tieren geriet, deren Nachkomme sie war?
    Er sah wieder hin, und da nahm sie die winzige Hand vom Mund. Die großen dunklen Augen

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