Erinnerungen der Nacht
Es ist nicht sicher, die Agenten des DPI …“
„Ihr Pech, wenn sie mir in die Quere kommen. Heute Nacht bin ich nicht gerade bester Laune.“
Sie ging zur Tür, aber die junge Frau packte sie am Arm. „Rhiannon, bitte warte. Ich muss dir noch etwas sagen.“
Rhiannon legte den Kopf schief. „Dann sag es.“
„Es geht um … diesen Mann, der dich in seinem Labor in Connecticut gefangen gehalten hat.“
„Daniel St. Claire?“
Tamara nickte. „Ja. Er … er war mein Vormund. Er hat mich adoptiert, als meine Eltern ums Leben kamen.“ Tamara schluckte heftig, während Rhiannon die Stirn runzelte. „Später habe ich erfahren, dass ihr Tod geplant war. Er wollte die Vormundschaft über mich nur, damit er Eric anlocken und für seine Experimente gefangen nehmen konnte. Ich weiß, was dir passiert ist – ich habe es nach seinem Tod in seinen Unterlagen gelesen. Und über die beiden anderen in seiner Gewalt. Es … es tut mir leid.“
Rhiannon, die diese Ehrlichkeit rührend fand, streckte eine Hand aus und raufte dem jungen Mädchen die Locken. „Dir muss nichts leidtun, Tamara. Das alles ist vor deiner Geburt passiert. Du kannst von Glück sagen, dass du überlebt hast.“
„Ich weiß nicht, ob ich das ohne Eric geschafft hätte.“ Sie leckte sich die Lippen. „Ich habe Daniel lange Zeit wie einen Vater geliebt, auch als Eric mir die Wahrheit über ihn sagen wollte. Ich hoffe …“
„Dass ich dich nicht dafür hasse“, sprach Rhiannon zu Ende, als sie die Gedanken des Mädchens las. „Lass dir gesagt sein, dass ich das nicht tue.“
Tamara lächelte mit leicht feuchten Augen. „Ich möchte gern deine Freundin sein.“
Rhiannon blinzelte und war wütend, weil sich ein Kloß in ihrem Hals bildete. „Ich glaube nicht, dass ich je eine hatte.“
„Ist nicht einmal Roland ein Freund für dich?“
Rhiannon lachte. „Nein, der ganz besonders nicht. Er mag mich ja nicht einmal.“
„Ich glaube, da irrst du dich. Als wir gestern Nacht hierherkamen, hatte es ganz den Anschein, als würde er sterben, weil er dich so leiden sehen musste.“
„Wirklich?“ Rhiannon zog die Brauen hoch und spürte eine alberne Wärme in sich. Sie riss sich zusammen. „Hör dir das an, da plaudern wir über Männer wie ein paar kichernde sterbliche Teenager. Dabei stehen wir über so etwas, Tamara. Göttinnen unter den Menschen.“
„Aber nichtsdestotrotz Frauen“, antwortete Tamara.
Darüber dachte Rhiannon stirnrunzelnd nach. Dann schüttelte sie den Kopf. „Ich muss gehen. Ich habe heute Abend viel zu erledigen. Sogar etwas einzukaufen.“
„Einkaufen? Aber Rhiannon, das DPI …“
„Pah, sollen sie mich doch durch die Geschäfte jagen, wenn sie glauben, dass sie mit mir Schritt halten können. Ich habe Rolands Erlaubnis, diese Kammer ein wenig aufzupolieren und neue Vorhänge anzubringen. Außerdem möchte ich genügend Kerzen kaufen, dass man diesen Lüster ein Jahr lang damit bestücken kann. So ist es doch, als würde man auf einem Friedhof schlafen.“
Tamara biss sich auf die Unterlippe. „Ich kann dir nicht zum Vorwurf machen, dass du diesen Raum verschönern möchtest. Er sieht aus wie aus einem alten Horrorfilm.“
„Genau. Außerdem werde ich Roland damit an den Rand des Wahnsinns treiben, und ich liebe es, ihn zu quälen. Wenn ich mich nicht beeile, schließen die Geschäfte wieder. Also, bis später.“
Rhiannon lief zur Hintertür hinaus, sprang mühelos über die Mauer und rannte zu ihrem gemieteten Haus außerhalb von L’Ombre.
Sie war nicht naiv. Obwohl sie nicht erkennen konnte, ob das Haus beobachtet wurde, schlich sie vorsichtig zur Rückseite, erklomm eine Mauer und stieg durch ein Fenster in den ersten Stock.
Licht machte sie keines, sondern zündete lediglich einige wenige Kerzen an. Im Dunkeln konnte sie ausgezeichnet sehen. Sie kramte in ihren Sachen, bis sie einen kurzen Rock gefunden hatte, der flatterte, wenn sie sich bewegte, und eine dazu passende Bluse. Dann packte sie noch andere Dinge in einen Koffer, den sie mit ins Schloss nehmen wollte, wenn sie mit ihren Besorgungen fertig war. Schließlich ließ sie heißes Wasser ein, bis die Wanne randvoll war, und verbrachte eine himmlische, wenn auch leider viel zu kurze Zeit darin. Sie wäre gern länger geblieben, hätte etwas Weihrauch verbrannt und sich entspannt, aber da ihr Rolands Warnungen nicht aus dem Sinn gingen, wagte sie es nicht.
Den Koffer würde sie später holen. Vorerst ging sie zu ihrem geheimen Safe
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