Erinnerungen der Nacht
kam der Geruch der Farben in seiner Nase einer Droge gleich, und der Pinsel flog wie eine Verlängerung seiner Seele über die Leinwand.
Er machte vorher keine Skizze. Das war nicht nötig. Er musste sie nur ansehen, wie sie da auf dem Bett lag, einem Opfer für die Götter gleich, und musste das Bild, das er sich von ihr machte, von seinen Augen über den Verstand in seine Hände strömen lassen.
Er arbeitete fieberhaft und ging auf eine Weise völlig in seinem Schöpfungsakt auf, wie er es seit Jahren nicht mehr erlebt hatte. Er bewegte den Pinsel so behutsam mit den Händen, als würde er ihre Haut liebkosen.
Und dann, fast bevor er bemerkt hatte, dass eine Minute verstrichen war, spürte er Bewegungen im Schloss. Jamey war wach, und Frederick. In diesem Moment gingen sie in den großen Saal und von da weiter in den unteren Ostflügel, wo die Küche ihrer harrte.
Er seufzte traurig, weil er so früh aufgeben musste. Die Freude, die ein so simpler kreativer Akt spenden konnte, hatte er beinah schon vergessen. Und er hatte so wenig erreicht. Formen und Farben auf der Leinwand ergaben noch kein erkennbares Bild. Aber er wusste, im Lauf der nächsten Tage würden sie Gestalt annehmen.
Widerstrebend reinigte er seine Pinsel und schaffte die Farben weg. Die Leinwand ließ er stehen, damit sie trocknen konnte. Er würde sie lange, bevor Rhiannon sich heute Abend regte, sicher verstauen. Nicht dass er glaubte, es würde sie stören, wenn er ihren nackten Körper so eingehend studierte, während sie schlief. Er glaubte sogar, dass die Vorstellung ihr gefallen würde.
Zuletzt trat er ans Bett und genoss ein letztes Mal den Anblick ihrer Nacktheit. Länge und Straffheit ihrer Beine faszinierten ihn mit Fantasien, wie die wohlgeformten Gliedmaßen ihn umfingen, die rundlichen Hüften gegen seine gedrückt wurden.
Er war erregt. Auf schmerzhafte Weise. Ihm wurde klar, dass das die ganze Zeit, während er malte, so gewesen war. Er machte die Augen zu und wollte den Gedanken verdrängen, dass er sich einfach ausziehen und zu ihr ins Bett legen konnte. Er konnte sie streicheln, anfassen, schmecken, so lange er wollte, und sie würde es nie erfahren. Er konnte sich in ihr vergraben. Er konnte Erfüllung in ihrer warmen Feuchtigkeit finden, und sie würde nie eine Ahnung davon haben.
Er beugte sich hinab und blies kühle Luft über ihre Brüste, damit sich die Brustwarzen abermals aufrichteten. Sie reagierte sofort. Vielleicht konnte er sie sogar zum Höhepunkt bringen, ohne dass sie sich dessen später bewusst war.
Der Gedanke war verlockend – nein, quälend. Ihrem Körper das höchste der Gefühle zu entlocken, ohne dass ihr Verstand davon wusste. Nachts konnte er ihrem Zauber widerstehen, wie es ihm beliebte. Tagsüber konnte er sie zum Objekt seiner Lust machen.
Die Versuchung war groß, fast zu groß. Er riss sich mit aller Gewalt zusammen, als ihm klar wurde, dass die Bestie in ihm wieder versuchte, die Oberhand zu bekommen. Es wäre eine Vergewaltigung, Rhiannon auf diese Weise zu benutzen. Ob sie etwas dagegen hätte oder nicht, darum ging es nicht. Sie ohne ihre Einwilligung zu nehmen, wäre unverzeihlich. Wollte er ihr damit die Freude vergelten, die sie in sein Leben brachte?
Freude?
Roland blinzelte und wiederholte ein weiteres Mal den Gedanken. Ja. Heute Morgen hatte er in den wenigen Stunden, die er den Pinsel geschwungen hatte, Freude empfunden. Und vorher, als er mit ansehen durfte, wie Jamey und seine Mannschaft den Sieg beim Fußballspiel errangen, da hatte er ebenfalls Freude empfunden. Pures Vergnügen. Wonne.
Er hätte nie für möglich gehalten, jemals wieder so empfinden zu können.
Er sah ihr ins Gesicht und schüttelte den Kopf. Wer hätte gedacht, dass eine tollkühne, eine unvorsichtige Vampirin wie Rhiannon wieder Freude in sein Leben bringen konnte?
Er zog das Hemd zusammen und knöpfte es zu. Er zog die Decke über sie, beugte sich dicht über sie und berührte mit seinen Lippen ihre. Sie fühlten sich feucht und weich und süß an, selbst im Schlaf. Er ließ die Zunge in ihren Mund gleiten, kostete jeden Teil davon und hörte erst auf, als er spürte, wie der Wahn ihn zu übermannen drohte.
„Danke, Rhianikki, Prinzessin des Nils.“
Roland war nicht zu sehen, als sie aufstand. Aber sie rümpfte die Nase, als sie den schwachen Geruch in der Luft wahrnahm. Sie schnupperte erneut und runzelte die Stirn. Es roch ein klein wenig nach Farbe.
Da sie den Nachhall des Duftes nicht
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