Erknntnisse eines etablierten Herrn
getroffen. »Ich kenne dich durch die Umstände doch recht gut, Du bist ein verwöhntes Kind mit der selbstverständlichen Erwartung, daß deine Wünsche in Erfüllung gehen. Wie du deine eigene Wohnung bekommen hast, Auto und so weiter, willst du jetzt auch einen Mann. Warum soll das nicht klappen? Bisher hast du alles gekriegt, was du wolltest. Du hast dich entschlossen zu lieben, also liebst du und erwartest, geliebt zu werden. Einschließlich perfektem Service. Und wenn es nicht nach deinem Kopf geht, drohst du mit Tabletten. So leicht kann man sich’s nicht machen! Du bist deinem Wunsch nach Erwachsenheit nicht gewachsen. Du verkleidest dich als Liebende, indem du dich ausziehst. Aber du gibst nicht dich, du stellst nur Organe zur Verfügung, um eine bestimmte Erfahrung zu machen. Deine Sehnsucht ist Neugier. Ich habe dich sehr gern, Andrea, aber ich liebe dich nicht auf Bestellung, wie du dir das denkst.«
Tränen kullern auf seine Hand, verwandeln die wohlmeinende Vatergestalt zum gestaltenden Vater in spe, den keine Komplikation der Welt mehr an seiner Inkonsequenz hindern kann, jener Inkonsequenz der Erwachsenen, an der die Jugend angeblich verzweifelt, aber nicht langer verzweifeln soll. Die paar Tropfen haben genügt, den Schlagbaum zwischen den Generationen hochgehen zu lassen und Kommunikation zu ermöglichen in ihrer ursprünglichsten Form. Auch hier genügen ein paar Tropfen. Die überwältigende Wirkung seiner Worte hat ihn selbst so überwältigt, daß er sie nur noch mit Zärtlichkeit zurücknehmen kann und mit Gewalt. Alles, was er ihr absprach, ist da, unverfälscht, verjungend jung, hingegeben ohne ein falsches Wort. Wer hier an technische Ablaufe denkt, ist er; zum Beispiel daran, wie er sich der restlichen Textilien entledigen soll, ohne abzulassen von ihr.
»Andrea!«
Sein Wortschatz ist auf den Namen zusammengeschrumpft, seine Trösterkraft droht ihn um den Verstand zu bringen, bringt ihn um den Verstand, die Heimwehr brennt ihm durch samt allen Sicherungen der Vernunft. Andrea vollführt, technisch ausgedrückt, Muskelkontraktionen, doch er bleibt im Sattel der Liebe; mehrere Lukase bereichern den Vornamendialog, bis plötzlich eine heftige Kontraktion ihn abwirft. Starr, den Kopf nach hinten gebogen, liegt sie da, bleibt so, fühlt sich heiß an, feucht.
»Andrea!«
Sie bewegt sich nicht.
»Andrea, was ist denn?«
Der Arm, den er aufhebt, fällt zurück.
Die Tabletten!
In seiner Ratlosigkeit greift er zum Klischee, öffnet mit Daumen und Zeigefinger ein Auge und erschrickt vor dem Weiß des Augapfels.
»Laß mich!«
Ihre Stimme klingt matt, sie dreht sich von ihm weg. An den Schultern dreht er sie zurück.
»Hast du Tabletten geschluckt?«
Ihr Kopf hängt nach hinten, da er sie an den Schultern hochhebt.
»Ob du Tabletten geschluckt hast?«
Ein Laut kommt von ihr, ein Nein.
»Ehrlich?«
»Ehrlich«, antwortet sie nach einer Ewigkeit, sackt zurück. Schon zweifelt er an seiner Sorge, aber auch an seinem Aufatmen.
Was ist, wenn sie lügt?
Er weiß nicht, wie ein Mensch sich verhalt, der Tabletten geschluckt hat, um zu sterben. Er muß sichergehen.
»Laß mich!«
Sie ist noch blasser geworden. An die Folgen darf er gar nicht denken, die Schlagzeilen: Lebemann läßt junge Geliebte im Hotelzimmer sterben! Liebesverlangen als Witz aufgefaßt. Hilfe versäumt!
Diese Andrea, dieses verkorkste, unglückliche Wesen — hatte er doch gesagt, daß er sie liebt! Ach Quatsch, hysterisch ist sie, gehört unters kalte Wasser. Da er sie anscheut, tut sie ihm schon wieder leid. Scheißkomplikation!
Von der Frühstückshörnchenlehne des Sessels nimmt er ihre Sachen, hebt die Füße nacheinander auf, damit sie in den Slip steigt und in die Strumpfhose, schiebt beides eilig an den Beinen hinauf.
»Was machst du denn?«
Ohne zu antworten macht er weiter, hebt, dreht, zieht, stülpt ihr das Fähnchen über, fädelt die Arme in die Ärmel ein, fahrt mit den Händen glättend über die Hüften hinunter und hinten mit dem Reißverschluß wieder hinauf, drückt dabei ihre Arme hoch, daß sie einklappen um seinen Hals.
»Ich liebe dich!«
»Die Schuhe!«
Während er sich bückt, sinkt sie wieder aufs Bett, überläßt ihm ihre Beine, die er sich holt, rechts mit links verwechselt, die Zehen in die Schuhe taucht, mit der Ferse die Kappe umklappt.
»Aua! Warum müssen wir denn so schnell weg?«
Er hört nicht hin, was sie sagt und was sie noch sagt, auf dem Korridor, im Lift, in der
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