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Erknntnisse eines etablierten Herrn

Erknntnisse eines etablierten Herrn

Titel: Erknntnisse eines etablierten Herrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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Das Schlechtere ist das Bessere; die Schicksalsähnlichkeit durch Generation, Gebrechen und eine verständnislose Umwelt schafft ein wenig Wärme. Man kann einander verstehen, solange man noch hört. Man ist unter sich; jeder kennt die Spielregeln, die einmal gegolten haben. Keiner muß umlernen, keiner wird von Neuerungen überfahren. Wir können raus, da hast du recht. Aber wir wollen nicht. Nur wenn frisch gestrichen wird, müssen wir ins Allgäu. Wir sind zufrieden, weil wir nichts mehr zu erwarten haben und zu schwach sind, uns zu wehren.«

    Es gibt versäumte Partner, bei denen es einen schmerzt, ja wo man es einfach nicht verstehen kann, daß das Schicksal nicht zusammenführte, was füreinander geschaffen schien. Diese Vertrauten im nachhinein und ohne ihr Wissen bleiben einem lebenslänglich, so wahr unbefriedigte Neugier unsterblich ist. Irgendwann kommen sie wieder, stehen plötzlich da in der Erinnerung, faszinierend unerforscht, und lösen neues Bedauern aus: Warum hast du damals nicht...?
    Obwohl deutlich als Versäumnis registriert, ist das Gefühl nicht unangenehm. Mit der Zeit wandelt sich der verblassende Wunsch in vitale Wirklichkeit, denn nichts macht jünger und daseinsbejahender als Nachschlafen im Doppelbett der Phantasie. Daniela.
    Daseinsbejahend und im Aussehen seinen Jahren bei aller Selbstkritik um Jahre nachhinkend, saß Lukas im grell erleuchteten Wirtshaussaal. Dem Dunst und den roten Glühpünktchen nach war dies weniger Wahlversammlung einer politischen Partei als geselliger Abend eines Raucherklubs. Raucher verfolgten ihn seit dem Flug. Er versuchte, flacher zu atmen, besah sich die Einsaugenden und Ausstoßenden deutlicher, unbarmherziger, liebevoller: Keine Erfolgsmännchen, bügelfrei adrett, hier saßen Volksmännchen, Leute, die sich konzentrieren, wenn sie ihren Namen schreiben, Muskelverdiener, am politischen Geschehen nur interessiert, um Dampf abzulassen, weil das eine Fußballspiel am Samstag nicht ausreicht, den Ärger der Woche abzubauen. Hinter leeren Biergläsern und vollen Aschenbechern hockten sie da, Schwerfällige, denen andere aus der Seele sprechen müssen, damit sie erfahren, was sie wollen könnten. Nach vergeblichem Versuch, Hubert aus seinem Versorgungsbau heraus und in andere Umgebung zu locken, hatte Lukas das Bedürfnis gehabt, sich wieder seinem Jahrgang gemäß zu bewegen, war zu Fuß gegangen und erst im Siedlungsgebiet in ein Taxi gestiegen, das ihn zu dem Versammlungslokal gebracht hatte. Zum Essen lud der Küchengeruch, der die Vorhalle durchzog, nicht ein. Es war noch früh am Abend, und er fand einen sehr günstigen Platz, blickfrei, ohne sofort entdeckt zu werden.
    Die Kulisse hinter dem Podium brachte politische Aktivität auf Kurzformel; in Riesenlettern prangten die bekannten Worthülsen von Frieden bis Wohlstand wie hinter jedem Vorstandstisch bei jeder Partei.
    Sie deckten sich ziemlich genau, die Daniela seiner Erinnerung und die Daniela, die da oben stand, im grauen Kostüm, hinter dem Mikrophon ganz anders als auf dem Plakat, das nur Konturen wiedergibt, fremd, wie ein Paßbild. Sie sprach leise, ohne Rednergesten, lenkte nicht mit Formen von Reformen ab — und um die ging es, im bekannten Versprechungsstil des Wahlkampfs. Daniela formulierte ungezählte Daß-Sätze, wie es deutscher Rednertrachtion entspricht, aber in einer ihm unbekannten Tonart. Ihre Wirkung auf die Zuhörer war dürftig. Das lag nicht an schlechter Rhetorik oder Unsicherheit, sondern hing mit ihrer Persönlichkeit zusammen, Daniela strahlte mehr aus, als ihre Partei anzubieten hatte, ein anderes Programm sozusagen, ein zusätzliches. Heiterkeit zum Beispiel, Grazie. Ernst und Eifer standen ihr bei allem Eifer nicht.
    Hob sie mahnend die Hand (ohne Ehering, wie er feststellte), sah es aus, als winke sie dem Oberkellner; pries sie eine soziale Errungenschaft ihrer Partei, klang das, als verspreche sie ihrem Hausmädchen mehr Lohn, damit es nicht kündigt. Bei allen Forderungen, die sie stellte, war er überzeugt, daß sie durchaus meinte, was sie sagte, in der Art, wie sie es vorbrachte, jedoch auf eine Rolle festgelegt war oder einer Verhaltensweise nacheiferte, die ihre Glaubwürdigkeit schmälerte.
    So litt Lukas wie ein Liebender, dessen Angebetete ihm nicht den Gefallen tut, dem Wunschbild zu entsprechen, das er sich von ihr gemach t hat.
    Da beendete sie ihre Pflichtübung und kam zu eigenen Gedankengängen. Sofort hörten die Wähler aufmerksam zu.
    Na bitte!
    Er

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