Erknntnisse eines etablierten Herrn
dem Rücksitz weich gelandet war, drehte Lukas das Fenster herunter, um Luft zu holen.
»Entschuldige«, sagte sie. »Was ich dich kürzlich schon fragen wollte: Bist du seinerzeit wegen Lilly weg oder hattest du überhaupt genug?«
»Sie war nur der Anstoß. In dem allgemeinen Rennen nach Aufstieg und Wohlstand hatte ich an meinem Leben keine Freude mehr.«
»Du warst beneidenswert faul und unbekümmert.«
»Ich hatte keinen Ehrgeiz.«
»Und wie ging’s dir in England? Du hattest doch kein Geld. Wartete da schon jemand?«
»Nein. Aber es ging mir wie hier. Mit meiner Passivität hab ich sofort einen Menschen gefunden. Ihr Vater war Fabrikant, und so
kam ich gleich in die Werbung.«
»Und nach kurzer Zeit ging sie dir auf die Nerven.«
»Woher weißt du?«
»Ich nehme es an.«
Ihre Folgerung belustigte ihn.
»Sie wollte geheiratet werden.«
»Und da bist du aktiv geworden und das heißt: weg!«
»So ist es. Von Heiratsversuchen hatte ich ja genug. Die Trennung ging langweilig glatt. Durch die Werbetätigkeit kannte ich einen Illustriertenredakteur. Für ihn fing ich an, Männchen zu malen.«
»Auch das hat auf Anhieb geklappt«, sagte Daniela.
»Nicht nur das. Auf einer Verlagsparty ist mir Doreen über den
Weg gelaufen.«
Daniela faßte ihn am Arm.
»Laß mich raten. Ihr habt nicht sofort geheiratet?«
»Nein. Doreen war ebenso strikt gegen die Ehe wie ich.«
»Also habt ihr euch sofort verstanden?«
»Doreen war viel radikaler als ich. Sie hatte ihre eigene Theorie für Zwischenmenschliche Unvermeidlichkeiten: Keiner legt sich mit seinem Schicksal auf den andern; jeder sorgt für sich; Probleme bleiben in den eigenen vier Wänden. Da man einander aber doch erzählt, was einen beschäftigt, kann jeder ausprobieren, wie weit er bereit wäre, für den anderen da zu sein.«
Daniela unterbrach.
»Eine Art Egoistenwettbewerb. Verstehe.«
»Wir haben das praktiziert. Im selben Haus, auf derselben Etage, in zwei Wohnungen. Wer bereit war, den anderen zu sehen, hat eine Zeitung aus dem Briefschlitz rausschauen lassen. Die könnte der andere wahr nehmen und klingeln, oder nicht gesehen haben, oder tatsächlich nicht gesehen haben, wenn er beschäftigt war.«
»Das beschleunigte natürlich die Heirat.«
Er lachte sie an.
»Aber jetzt wußten wir, daß alle Theorien gegen die Ehe unsinnig sind. Man muß im selben Boot sitzen; an Unverbindlichkeiten herrscht heutzutage ja kein Mangel.«
»War Doreen damals schon krank?«
»Erst nach zwei Jahren, zwei herrlichen Jahren. Der Arzt hat uns gleich die Wahrheit gesagt, ihrer Mutter und mir. Noch zwei Jahre haben wir das vergnügte Paar gespielt. Doreen hat nichts gewußt. Ich rede nicht gern darüber. Verstehst du das?«
Sie nickte.
»Verzeih.«
Nach einer Weile fragte sie:
»Und wie lebst du jetzt?«
»So wie du. Wie wir früher gelebt haben: frei, aber nicht allein. Nicht ganz allein.«
»Du irrst dich, Lukas. Ich lebe allein. Ganz allein.«
»Daniela, du brauchst bei mir nicht vorsichtig zu sein wegen deines exponierten Jobs. Ich sag’s niemandem.«
Sie lachte.
»Ich bin wirklich allein. Ihr Männer habt nicht den Schlüssel zum Glück in der Tasche. Es geht sehr gut ohne euch.«
Genau wie Renate! dachte er. Das greift jetzt um sich. Die machen sich da ganz schön was vor!
Und er sagte:
»Du kannst nicht alleine leben, Daniela, du nicht!«
»Und warum sollte ich das nach deiner Meinung nicht können?«
»Weil du nicht dafür gedacht bist.«
Sanft sagte sie:
»So ein Unsinn. Du vergißt, wie alt ich bin.«
»Vorsätzliches Alleinsein ist das idiotischste, was man sich antun kann. Wir sind außen alle über- und innen unterfordert. Du brauchst zu viel Kraft allein.«
»Jetzt versteh’ ich!« sagte sie. »Das ist dein Problem, nicht meines. Du kannst nicht allein sein!«
»Das hat Pamela auch gesagt.«
»Wer ist Pamela?«
»Meine Schwiegermutter.«
»Sie hat recht. Du würdest sofort wieder heiraten, gib’s zu.«
»Never.«
Noch bevor sich Lukas darüber klar werden konnte, warum ihm die Antwort auf englisch herausgerutscht war, drehte Daniela einen rhetorischen Spieß heraus.
»Soll das heißen, daß du nur in England nicht mehr heiraten würdest?«
»Es klingt fast so. Aber es gilt auch fürs Festland.«
»Bist du ganz sicher?«
»Ziemlich ganz«, sagte er. »Ich hab mich an mich gewöhnt. Ich mag diese Freiheit ohne fremden Willen, ohne Erwartungen, ohne Rücksichten, die nur von Einfällen abhalten. Solange es nicht
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