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Erknntnisse eines etablierten Herrn

Erknntnisse eines etablierten Herrn

Titel: Erknntnisse eines etablierten Herrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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sie, als wolle sie ihm zeigen, daß sie nicht die Stadt meint, daß auch anderes anders geworden sei.
    Nun hat Lukas eine Eigenschaft: er liebt peinliche Situationen. Psychische Verkehrsunfälle, wie er sie auch nennt, haben für ihn etwas Anregendes. Alles hängt vom Einfall ab, vom richtigen Wort. Dieser Akt schöpferischer Spontaneität vermittelt ihm einen Reiz, neben dem die Peinlichkeit selbst zur Bagatelle schrumpft. Er tritt neben sich, lacht sich aus, wie er dasteht, im Morgenmäntelchen: Vis-à-vis im Raubtiermantel die Dame, die er unbedingt hatte heiraten wollen, und nebenan im Bad die geflüchtete Tochter. Aber ihm fällt nichts ein. Andrea tut ihm leid.
    Irgendwie muß er an Lilly vorbeikommen und das elegante Kleid mit dem Bettüberwurf zudecken; Schuhe sind nicht zu sehen.
    »Ich zieh mich an. Dann gehen wir runter. Du hast sicher Hunger oder möchtest einen Drink.«
    »Ach, laß uns hierbleiben, Lukas. Hier können wir viel besser reden. Drunten sind womöglich Leute, die man kennt.« Sie gleitet aus der Raubkatze, wirft sie, ohne hinzusehen, hinter sich, genau auf den Sessel, über ihr Kleid, reckt sich, lächelt verhalten und vorsorglich ein bißchen spöttisch.
    »Wir haben uns doch einiges zu sagen. Oder?«
    Es ist der So-sieht-man-sich-wieder-Augenblick nach der ersten Begrüßungsfreude, das Durchatmen nach dem ersten Schreck, der richtige Zeitpunkt, sich freundschaftlich in die Arme zu nehmen, die alte Nähe aus der Nähe zu prüfen, einander des Verzeihens zu versichern, weil doch alles anders gekommen ist.
    Lilly kennt die Spielregeln. Trotzdem wird es nur ein Jaja und ein Schulterklopfen seinerseits, bevor er das Oberbett am Fußende zur Rücklehne bauscht und sich ihr am Kopfende gegenübersetzt. Sie spricht wieder sehr schnell.
    »Wie ich mich freue, daß du gekommen bist! Ich konnte nicht reden, als Gerda mir das sagte am Telefon. Ich konnte auch nicht mehr golfen. Ich konnte mich nicht mehr konzentrieren, ich habe nur noch verloren. Aber ich habe gern verloren, ich wußte ja...« Gefühl in der Stimme, auf damenhaft zurückgenommen, ergibt jenen leicht hysterischen Ton, den sie schon damals hatte, wenn sie mit ihm über die gemeinsame Zukunft sprach. Sie hat sich vorgebeugt, nach seiner Hand gefaßt, ihre Wange dagegengedrückt, ohne die tadellos übereinandergeschlagenen Beine oder den Sitz des Rocks zu verändern. Was Lilly tut, das kann sie, ihre Persönlichkeit macht es möglich.
    »Ich hab’ damals unsäglich gelitten! Glaub’ mir, Lukas, der Verzicht ist mir weiß Gott nicht leichtgefallen. Als ich mit dir vor Alfredo stand, um ihm zu sagen, daß ich weg will, da hab’ ich auf einmal gefühlt: ich muß bleiben, ich gehöre zu meinem Kind. Andrea war ja noch so klein.«
    »Und warum hast du mir das nicht vorher gesagt?«
    »Da wußt’ ich’s noch nicht, Lukas. Ich hab’s gefühlt, aber ich wollte es nicht wahrhaben, ich wollte ja weg mit dir. Und dann warst du weg, und ich konnte dich nicht mehr verständigen, du hast ja keine Adresse hinterlassen, nichts. Es hieß nur, du seist ins Ausland. Das war das Einfachste. Neue Eindrücke, neue Frauen. Schwerer hat es immer der, der zurückbleibt. Ich hätte mich am liebsten umgebracht.«
    »Das hattest du dir alles sparen können. Ich war noch bis abends im Haus. Zusammenpacken.«
    »Natürlich. Ja. So versteh doch! ich wußte, daß ich wieder umfallen würde, wenn ich dich noch einmal sehe! Und Andrea brauchte mich, braucht mich noch heute.«
    Lukas ist fasziniert. Wie Lilly dasitzt und über die Satze verfügt, die das gewünschte Bild ergeben, und wie sie es unterstreicht mit ihren schönen Händen. Viel fehlt nicht mehr und er selbst glaubt ihr, es sei so gewesen, wie sie sagt. Sie überzeugt, weil sie überzeugt ist, daß sie nicht lügt. Er versteht Andrea. An so viel Dame kann ein Kind zerbrechen. Er hat das Bedürfnis, zu ihr ins Bad zu gehen, sie zu beruhigen.
    »Moment.«
    Die Mutter nickt, der ehemalige Geliebte pendelt zur Tochter. Andrea zuckt zusammen, als er eintritt, sitzt da, ins Badetuch gewickelt auf dem Rand der Wanne, in der noch das Badewasser steht mit Resten von Schaum, wie altes Bier. Nach beruhigendem Zunicken drückt er auf den Knopf der Wasserspülung, um ein Geräusch zu haben, das draußen glaubhaft klingt und drinnen ein paar Worte ermöglicht, während er ihr die Wange streichelt. Zur Beruhigung gehört der körperliche Kontakt. Und so schlimm kann es mit dem Schrecken auch nicht sein, denn immerhin

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