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Erknntnisse eines etablierten Herrn

Erknntnisse eines etablierten Herrn

Titel: Erknntnisse eines etablierten Herrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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sitzt sie auf Horchposten, nicht im Angsteck. Noch ein Druck auf die Wasserspülung, ein Kuß aufs Haar, der Geliebte pendelt zurück. Irgend etwas ist anders mit Lilly. Sie schaut ihm entgegen, ihr Augenaufschlag, den gibt es noch bei ihr, wirkt zärtlich-heiter.
    »Wenn ich dich ansehe, kann ich nicht verstehen, daß ich damals so feige war.«
    Er setzt sich neben sie; die Damenhand in seinem Nacken krault Zeitlupe.
    »Weißt du, daß wir beinahe ein Kind hätten?«
    Das ist es! Sie hat ihre Kostümjacke ausgezogen, die Bluse ist durchsichtig, und was sie darunter tragt auch. Sie kann es sich erlauben.
    Bei der Selbstverständlichkeit, mit der sie es macht, kann sie sich auch das erlauben, hier und überall. Er nickt vor sich hin.
    »Es war eben alles nur beinahe. Erst jetzt bist du perfekt.« Für einen Augenblick lehnt sie ihre Stirn an seine Schulter, dann gelingen ihr wieder überzeugende Sätze. Das Opfer, das sie gebracht hat, war nötig. Andrea ist ein schwieriges Mädchen gewesen.
    Sie sagt: »Wir sind wie Schwestern. Oft werden wir auch dafür gehalten. Du hast sie ja gesehen.«
    Wenn sie spricht, ist die Ähnlichkeit gering, stellt er fest, unterbricht aber nicht, läßt sie weiterreden, wie fabelhaft sie alles gemacht hat und macht, wie das Kind sich mit dem Vater nicht verstand und deshalb seine eigene Wohnung bekam, wie sie trotzdem die Familie zusammenhält, sich ständig sorgt, weil Andrea niemanden hat außer ihr.
    Lilly redet sich das nicht ein. Für sie hat es so zu sein, wie es zu sein hat und ist daher auch so. Lilly trägt auch in der Seele Perlenkette. »Wenn du so gebraucht wirst, hast du doch ein erfülltes Leben. Oder nicht?«
    Sein Unterton entgeht ihr.
    »Ich spiele keine Rolle«, antwortet sie nach der geschilderten Glanzrolle. »Andrea liegt mir am Herzen. Wahrscheinlich werde ich mich bis an mein Lebensende um sie kümmern müssen.«
    Die Badezimmertür knallt gegen die Wand.
    »Das ist nicht wahr! Du lügst! Alles, was du gesagt hast, ist Lüge, Lüge, Lüge. Kein Wort ist wahr.«
    Atemlos steht Andrea im Zimmer, hält das Badetuch fest mit der großen Hand, die sie von Alfredo geerbt hat.
    Und Lilly? Zurückgelehnt sitzt sie auf dem Bett, die Arme über der Durchsichtigkeit verschränkt, weil man durchschimmernden Busen zu Auseinandersetzungen mit den Kindern nicht trägt. Da sagt man nur:
    »Ach, so ist das.«
    Verblüffend ihre Haltung. Kein Muttergefühl macht ihr den ersten Platz streitig. Andrea, die außer sich ist, muß warten, bis sie an die Reihe kommt.
    »Beruhige dich, Kind. Dir nehm’ ich ja nichts übel. Du bist erwachsen, kannst tun und lassen, was du willst. Zieh dich jetzt bitte an und komm mit.«
    Das geht alles ohne Blick, ohne Berührung, nur per Wink, wie man Koffer wegbringen läßt. Oder ließ. Früher einmal.
    »Ich denke nicht dran!« schreit Andrea. »Ich geh’ nicht mit dir. Mit dir nicht, du...«
    Bei dem Blick, der sie trifft, gefriert ihr das Wort auf der Zunge.
    Was man nicht sagt, sagt man nicht. Sie muß sich ein anderes Ventil suchen, sammelt unter Tranen ihre Sachen zusammen, rennt ins Bad. Als sie die Tür geschlossen hat, zieht Lilly ihre Kostümjacke an.
    »Wärst du ein Gentleman, hattest du uns diese Szene erspart.«
    »Sei froh, daß sie hier passiert ist. Sie war fällig.«
    Es klopft.
    Es klopft, und die Haltung wackelt. Am liebsten hätte Lukas laut hinausgelacht über den grotesken Ausdruck zwischen Haltung und Schreck, der in einem eingezogenen Hinterteil gipfelt, Lilly enteilt ins Bad. Es klopft wieder, an der Innentür. Diesmal ist es der Anzug. Er hängt ihn in den Schrank, bedankt sich mit Trinkgeld, zieht eine Hose an, deckt das Bett zu, öffnet ein Fenster, streckt den Kopf hinaus, ruhig. Es ist dunkel. Geschirrklappern dringt aus dem Hof herauf; das Duftgemisch wird trotz Dinnerstunde nicht von der Küche, sondern vom Toilettenluftveredler geprägt.
    »In den meisten Hotelklos riecht es nach Smiths Schnupftabak, Sorte: Grand Opera!« hat ein Freund in England festgestellt. daß ihm das gerade jetzt einfällt? Ein Bedürfnis meldet sich, das offenbar schon langer drängt, aber erst jetzt wahrgenommen wird. Dazu müßte er allerdings ins Bad. Doch selbst in einer solchen Situation erweist sich die Überlegenheit der Familie über den Alleinstehenden. Und diese Familie wäre beinahe seine Familie geworden. Wäre sie dann anders? Oder er? Diese Art von Dame wär’ in einer Dreizimmerwohnung genauso schlecht zu halten wie eine

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