Erknntnisse eines etablierten Herrn
Dogge.
Und er ist ihr nachträglich dankbar, dieser Haltung, die ihr ermöglicht hat, nein zu sagen, Dame zu bleiben, statt durchzubrennen mit dem Graphiker. Er knipst das rüde Deckenlicht an. Endlich kommen sie. Die Dame voraus, läßt sich das Raubtier um die Schultern legen und, ganz die Mutter jetzt, folgt die Tochter. Sie übersehen ihn auf eine unangestrengte Art, die fast schon wieder leutselig wirkt. Unter der Schminke hat Lillys Gesicht etwas Gewendetes. Es bewegt sich nicht; der Satz, mit dem die Dame das Kapitel abschließt, bleibt aus; auch Andrea sagt nichts; das Kaninchen folgt der Schlange im Leopardenfell.
Nein! Als Aktsschluß ist Haltung zu wenig. Noch dazu im Wiederholungsfall.
An der äußeren Tür sagt Lukas:
»Um wirklich über der Sache zu stehen, müßte man Humor haben. Und das heißt Herz.«
Lautlos gleiten sie davon. Der Gast von vierhundertelf schließt die Türen, läßt sich aufs Bett fallen.
Wie komm’ ich eigentlich dazu?
Andrea tut ihm leid. Herrgott noch mal, nein, sie tut ihm nicht leid. Er hat das alles nicht gewollt, will überhaupt nichts. Nichts müssen, nichts sollen. Nicht einmal mit Daniela essen.
Achter Tag
»Guten Morgen! Sie wollten geweckt werden. Es ist acht Uhr«, sagt die Stimme nach dem schrillen Klingeln, das ihn geweckt hatte. Lukas knipste das Licht an und schaute auf die Uhr.
»Eine Unverschämtheit. Es ist erst halb acht.«
»Zugegeben. Aber hier auf meinem Zettel stehen zweiundsechzig Gäste, die Punkt acht geweckt werden wollen, und ich bin allein. Und weck’ ich einen zu spät, bin ich dran. Da müssen Sie schon Verständnis haben. Ein andermal sind Sie der letzte.«
Die nächste Überraschung kam beim Frühstück. Zeitlich fiel er heute mit den Direktoren und Aufsichtsraten zusammen, die ihre Konferenzen auf die Zeit zwischen neun und zehn Uhr angesetzt haben; räumlich sah er sich aus der Gewohnheit gerissen, die gerade im Hotel das Wohlbehagen ausmacht: Wegen Vorbereitungen für eine Modenschau am nachmittag war der große Saal mit dem Glasdach gesperrt. Der Kellner bat um Verständnis und wies ihn in einen schmalen, nach kaltem Rauch riechenden Raum, wo er abermals um Verständnis gebeten, zu einem Herrn an den Tisch gesetzt wurde. Die beiden Atmosphären rieben sich nicht lange.
»Ich kann morgens nicht reden, ich muß meine Gedanken ordnen. Sie entschuldigen«, sagte der Herr, der eine Krawattennadel trug. »Das wollte ich Ihnen grade von mir sagen.«
Daraufhin unterhielten sie sich ausgezeichnet. Der Herr mit der Krawattennadel war Bankier und auch im Privatgespräch sehr vorsichtig. Wie immer ertönte das Glockenspiel; der olivhäutige Page trug die Monstranz der Telefonzentrale durch den Raum. Auf der schwarzen Tafel stand, säuberlich aufgemalt, beinahe sein Name: Telefon für Herrn Hornberg .
Andrea!
Die Kaumuskulatur hielt inne.
Ich möchte mit dieser Familie nun endgültig nichts mehr zu tun haben! Ich möchte jetzt in Ruhe frühstücken. nachher wird der Vertrag unterschrieben, und morgen fliege ich nach Hause!
Die Kaumuskulatur nahm ihr Vernichtungswerk an dem Butterhörnchen wieder auf, bis ein neuer Gedanke sie stoppte.
Vielleicht braucht sie Hilfe?
Weiterkauend lief er hinaus und hinein in die Zelle. Doch am anderen Ende war Herr Wittmann und wollte Herrn Hornberg sprechen, nicht Herrn Dornberg. Die Telefonzentrale verstand nicht alles falsch. Auch dafür mußte er Verständnis haben. Unterwegs zu der unaussprechlichen Firma, zu Fuß, wie gewöhnlich, verfolgte Lukas seine Gedanken. Seine Gedanken spielten mit dem Gedanken einer Veränderung.
Warum nicht ein paar Monate im Jahr hier leben?
Sogleich fragte er sich, ob er das tatsächlich wolle, oder ob die Idee nur einer Sentimentalität entsprang, die nach Kulissenwechsel wieder vergeht. War er schon wieder zu lange hier, gewöhnte sich an alte Gewohnheiten? Vielleicht würde er sich sogar länger hier aufhalten müssen, um seinen Vertrag zu erfüllen?
Von einer Plakatwand lächelte Daniela, zuversichtlich, als sei sie überzeugt davon. Heute abend war er bei ihr. Zum Essen. Sein letzter Abend; ein schöner Abschluß. Und morgen erst mal wieder heim. Die nächste Folge für das Dornberg-Männchen stand unmittelbar bevor, und zu Hause zeichnet sich’s doch verläßlicher als im Hotelzimmer.
Nach Vertragsunterschrift würde er den Flug für morgen buchen — höchste Zeit. Renate, ach Gott ja, sie hätte er gern noch einmal gesehen vor seiner Abreise. Die tüchtige,
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