Erknntnisse eines etablierten Herrn
wärmt Andreas Blick wie eine Höhensonne. Sie sieht ihn an, weil er nicht antwortet. Was sie sieht, scheint sie zu beruhigen. Er ist merkwürdig friedlich in dem kleinen Auto. Daniela schaut herein, von einer Plakatwand am Gehsteig, zuversichtlich, zwischen sozial und Dame. Ein ungeschicktes Bild. Schon in ihrem Arbeitszimmer hat es ihm nicht gefallen.
Im Halteverbot vor der unaussprechlichen Firma halt der Flitzer; Andrea übertrifft sich an Handlichkeit.
»Soll ich draußen warten oder drin?«
Ihr lieber Ton macht alles schwerer.
»Du sollst überhaupt nicht auf mich warten«, sagt er lieb und schaut sie auch so an.
»Ich hab nichts anderes vor. Wirklich nicht. Ich hab Zeit.«
Wie gut war es doch, sich zum Tee zu verabreden!
»Dann warte meinetwegen auf mich. Aber ich muß anschließend noch einen Besuch machen.«
»Okay.«
Dieses Verständnis wird ihm unbehaglich; er steigt aus, dreht sich nicht mehr um.
Das freundliche Fräulein hinter der Empfangsbarrikade hat dazugelernt: Sie empfängt ihn mit Namen und ohne die Frage, was sie für ihn tun könne. Ohne Aufforderung schafft sie umgehend eine Kraft herbei, die ihn auf dem direktesten Weg zu Donicke geleitet. Nicht einmal übers Vorzimmer.
»Hallo, Dornberg!«
Bleich steht der rhombusförmige Mann mit dem alten Bubengesicht neben dem schweinsledernen Papierkorb, zu dem er es gebracht hat, übt sich mit einer schweren Zigarre in Kurzatmigkeit, die nach langem Atem aussehen will, ist wieder schulterklopfaktiv, huldvoller Kamerad, der den kleinen Graphiker mal in die Probleme modernen Managements riechen läßt. Und da gibt es Probleme. Eben war die Sitzung, und da haben die Herren Mitbestimmer doch tatsächlich dem Vertrag nicht zugestimmt! Der Finanzmensch vor allem. Donicke spreizt die Arme vom Rhombus ab:
»Das heißt nicht, daß es nichts wird, Dornberg. Das wird, das wird! Versprochen ist nicht gebrochen! Bis jetzt hab ich noch alles durchbekommen, was ich wollte! Das heißt nur, daß es nicht gleich wird, nicht heute.«
Lukas tröstet den Untröstlichen, wird seinerseits dezent schulterklopfaktiv, was Donicke erst recht in Rage bringt.
»Mann!« Mit zu kurzen Beinen durchquert er das zu große Büro, »diese Mitbestimmung! Was die mich schon Nerven gekostet hat! Da sitzen so ‘n paar Knallköppe da und die können nun sagen: Also hör’ mal...«
Lukas liest das Keramikschild: Zeit eilt, weilt, teilt und heilt. Der Spruch paßt besser auf ihn. Sie weilte noch, die Zeit; er hätte sich gefreut, hat sich aber keiner Vorfreude schuldig gemacht, nimmt mit Gleichmut, was nicht geworden ist und doch noch werden kann, sieht Donickes Aggressionsfeuerwerk zu und denkt:
Keinen Ehrgeiz, keine Zersplitterung! Ein Männchen reicht. Zwanzig Minuten sind erst vergangen, Donicke addiert Verdienste seiner Person um die unaussprechliche Firma; sein Ehrgeiz ist in Lebensgefahr, zwei Pillen hat er in das alte Bubengesicht geschoben, von verschiedener Farbe, und sie unzerkaut und ohne Wasser geschluckt. Das setzt Übung voraus. Vielleicht darf man sich mit Zucker nicht aufregen? Lukas hat keine Ahnung, ihm tut nur der Rhombus leid, der es gut meinte, und er glaubt zu wissen, wie er ihn wieder ins Gleichgewicht bringen kann.
»Dürfte ich den Betrieb mal sehen?«
Prompt strahlte das alte Bubengesicht, der dicke Mann blähte sich wie der kleine Mann, der eine gerade überstandene schwere Krankheit als persönliche Heldentat schildert. Mit feiner Rauchsäule blieb die schwere Zigarre im schweren Chefaschenbecher liegen, Donicke öffnete die schwere Tür, die das Management vom Betriebsklima trennt, in das sie hinunterstiegen, Donicke voran, Lukas hinterher. Mit Berufsblick: deutlicher, umbarmherziger, liebevoller.
»Jetzt werden Sie staunen, Dornberg! Mehr verrat’ ich nicht.«
Die Bürolandschaft, durch die er ihn schleuste, sah täuschend so aus, als mußten sich Menschen an diesen lichten, durch Pflanzen, nicht durch Wände getrennten Arbeitsplatzen unbedingt wohl fühlen. Donicke redete wie ein Alleininhaber.
»In diesem Saal haben wir so ziemlich die ganze Verwaltung, alles lose gegliedert. Jeder dreht seinen Schreibtisch, wie er ihn haben will; wir lassen den Leuten da völlig freie Hand. Die Fenster kann man nicht öffnen. Wozu auch? Ist ja klimageregelt. Wenn die Sonne draufscheint, gehen automatisch die Jalousien runter. Das in der Mitte ist die Kaffeebar. Kostenlos! Wach sein ist alles. Und der ganze Raum ist schalltot. Sie hören ja, Sie hören
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