Erknntnisse eines etablierten Herrn
nichts.«
Völlig andere, dabei nicht weniger durchdachte Verhältnisse herrschten im Kantinenbau. Donicke machte sie überdeutlich.
»Und hier hören Sie alles. Geschirrklappern, Stimmen, Schritte. Das liegt an den Fliesenboden. Die sind erstens hygienischer und leichter sauber zu halten — fällt ja mal was runter, kippt ‘n Glas um — , zweitens ist die Änderung der akustischen Situation für den Arbeitnehmer sehr wichtig. So unterscheidet sich die Mittagspause von der Arbeitszeit; der Arbeitnehmer spürt, hier kann er reden, abschalten und muß sich nicht allein fühlen. Er hört ja die andern, wird dadurch nicht zu müde, was auch wichtig ist. Essen macht schon schlapp genug. Raffiniert, was?«
Bilder aus der Landwirtschaft drängten sich Lukas auf. Er sah einen jener nach veterinärsozialen Gesichtspunkten durchrationalisierten vollautomatisierten Superställe vor sich, wo das Vieh auf Gitterrosten steht, durch die alle Ausscheidungen hindurchfallen und weggeschwemmt werden. Von oben rutscht das Futter in die Raufen; jedes Tier hat seinen Leckstein, seine Trinkwasservorrichtung, die auf Anstoßen mit der Schnauze Wasser spendet; alles ist hygienisch, die Melkmaschinen arbeiten selbständig wie die Jalousien, die sich bei Sonneneinstrahlung entrollen; die Zigarette wird zum Leckstein für täglich acht Stunden Angeschlossensein an die Melkmaschine der Produktion, Fließband heißt sie hier und zieht sich durch den nächsten Superstall, vorbei an denkfähigen Menschen, die, auf wenige Handgriffe abgerichtet, dem Maschinenrhythmus angepaßt sind. Jeder Griff ist abgestoppt und eingespeichert, ein Hustenanfall, ein Schneuzen ins Taschentuch bedeutet Fehlkonstruktion. Aber die Halle ist licht, die Arbeitsplätze sind »sachgerecht«, die Schutzmaßnahmen hervorragend, der Lohn gut.
»Sozialer geht’s nimmer!« schloß Donicke.
Lukas schwieg und suchte Arbeitsfreude in den Gesichtern. Doch der Ausdruck, den er fand, zeigte fortgeschrittene Entpersönlichung: Der Arbeitnehmer, von den Investitionen für seinen Arbeitsplatz betäubt, nimmt nicht mehr wahr, wie perfekt er selbst funktioniert, nur die Jugend ahnt noch, was da auf sie zukommt, und gammelt lieber, um den Eintritt ins vollversorgte, schall- und seelentote Erwerbsparadies so lange wie möglich hinauszuschieben.
Da ging es im Lagerhaus vergleichsweise fröhlich zu, wo Gabelstapler mit Schachteln durch Warenschluchten fahren, sie aufstocken oder abtragen. Die wendigen Wägelchen zu beherrschen erfordert Geschicklichkeit. Manche Fahrer können bei der Arbeit lächeln. Mit diesem vergleichsweise gesunden Klima hielt sich Donicke nicht lange auf, führte seinen Gast weiter, durch Gänge, über Treppen, im Eilschritt, bis er endlich wieder platzen konnte:
»Das ist unser Stolz!«
Nüchterner Raum, Blechkästen voller Registrierkarten, in der Mitte rechtwinkelig angeordnet Blechkästen, blau und grau, zwei mit Plattentellern, einer auf Rollgestell. Darunter Zille im technischen Zeitalter: ein Schuhkarton, aus dem gefaltetes Endlospapier in den Bauch des Kastens verschwindet und ganz oben beschrieben wieder rauskommt — der Millionenersatz für Instinkt und schöpferische Fantasie, das Grabmal des Rationalismus: der Computer.
Damit wären Donickes Attraktionen verschossen, der Gast sah auf die Uhr. Andrea wartete schon viel zu lange. Sie hatte es so gewollt.
»Es war sehr aufschlußreich für mich, lieber Donicke. Vielen Dank.«
Das alte Bubengesicht zeigte wieder die alte Zuversicht. Lukas streckte ihm die Hand hin, wollte weg, doch, lobe einen Überlasteten, schon hat er Zeit: Der Rhombus marschierte an seiner Seite wie ein treuer Kamerad.
»Lassen Sie sich nicht aufhalten, Donicke!«
»Aber aber. Ich werde doch noch meinen alten Freund zur Tür bringen!«
Der neue »Freund« ließ sich nicht abschütteln, er wurde immer fürsorglicher.
»Haben Sie einen fahrbaren Untersatz? Sonst lasse ich...«
»Nicht nötig. Freunde haben mir...«
»Tja, Freunde — das ist eben immer noch das halbe Leben.«
Lukas bekam Gänsehaut; schon von weitem sah er sie auf dem Besucherbänkchen in der Eingangshalle, rauchend und sehr hübsch anzusehen — Andrea.
»Hallo!« Sie steckte die Cigarette in den sandgefüllten Riesenaschenbecher. »Da bist du ja endlich! Mir war’s zu langweilig draußen, und dauernd wirst du angequatscht.«
Widerwillig machte er bekannt; die Kulleraugen gaben dem alten Bubengesicht etwas Treuherziges.
»Sehr angenehm.«
Der
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