Erknntnisse eines etablierten Herrn
Ecken und Teile des Furniers jahrelang in Schächtelchen aufzubewahren, statt das gute Stück umgehend vom Schreiner abholen zu lassen. An der dritten Schublade fehlte der linke Griff. Er fehlte großzügig.
»Bei uns heißt sie einfach Daniela«, erklärte Mama Eugenie.
»Und wir wählen auch alle ihre Partei. Nicht weil die so fabelhaft wäre, sondern weil wir Daniela so besonders sympathisch finden.« Beide brauchten Daniela nicht, um ein Thema zu haben, behielten sie aber vorerst als Thema, weil Mama Eugenie ihm zu seinem höchsten Plaisier mit taktvollster Dialektik die Art seiner Beziehung zu Daniela zu entlocken sich bemühte, ein Ansinnen, das er als Kavalier parierte, indem er das lächelnd zuzugeben schien, was er mit Worten verschwieg. Mama Eugenie zeigte sich enchantiert. Bis er Neugier in umgekehrter Richtung zu erkennen gab. (Marie-Luise betreffend.) Da refüsierte sie die Gefolgschaft auf die reizendste Weise, aber bestimmt. Marie-Luise war nicht im Zimmer, es wurde nicht über Marie-Luise gesprochen.
Er genoß die Konversation nach Spielregeln. Mama Eugenie hatte sich den Veränderungen zugewandt, erzahlte vom Tode der Tante Josephine, der man die Wohnung verdanke, vom Tode Roberts, des Dieners, vom Verkauf des Kavalierhauses an den Bundesgrenzschutz, vom Tode Hassos, des Schäferhundes, vom Tode Wandas, der Gesellschaftsdame, vom Tode Karl-Eugens, des Onkels, den er ja noch gekannt habe. Wieder nickte der Gast in Abstanden, das Glas mit dem angebotenen Sherry voll in der Hand, weil man zu Todesnachrichten nicht trinkt. Gelegentlich hörte er Kinderstimmen; die gelernte Hausangestellte deckte hinter ihm einen silberschweren Teetisch, während er nickte ohne zu nippen, die Sterbefalle aber mit freundlicheren Gedanken verdünnte, mit Bildern der Erinnerung an Marie-Luise, das kühle, aufrechte Mädchen, das er in kühnem Vorgriff auf sozialere Zeiten, bürgerlicher Virilität leibhaftig hatte werden lassen, bis Mama Eugenie die vernachlässigte Distance wiederherstellte, indem sie Marilou auf Familientournée schickte: zu der Taufe auf das eine Schloß, zu der Hochzeit auf das nächste, zur Ablenkung auf Güter, und für die Sprachkenntnisse auf die Besitzungen ausländischer Verwandter.
»Weitere Todesfälle will ich Ihnen ersparen, Herr Dornberg. Ich erzähle Ihnen doch noch den Umzug nach hier mit dem Bundesgrenzschutz, eine der schnellsten und nobelsten Evakuierungen der Geschichte.«
Abermals zog sich der Gast zu seinen Gedanken zurück, sah Marie-Luise vor sich mit ihrer Faszination aus Jugend, Unnahbarkeit, aus Scheu und Erziehung. Das krasse Gegenteil von Renate. Auch sie Ende Zwanzig etwa, und der da drüben auf der Kommode, der Schmalköpfige, Pralinéäugige mit dem dunklen Schnurrbart des Alpenadels und den langen, aber zierlichen Inzuchthändchen, das mußte ihr Mann sein, weich und fesch. Er war der Papa von allem, was da immer wieder laut wurde, draußen auf dem Korridor, drei Kinder, soweit Lukas die Stimmen unterschied. Die Intimität von damals hatte trotz starker seelischer Beteiligung glücklicherweise nicht zu schreienden Beweisen geführt.
»Ja, Herr Dornberg, so vergeht die, Zeit. Schon sechs Jahre wohnen wir nun hier. Ich hätte es nie für möglich gehalten, daß ich in der Stadt leben kann.« Ihre grauen Augen sahen an ihm; vorbei zur Wand. »Obwohl, er hat immer gesagt, ich sei keine Landfrau.«
Lukas folgte ihrem Blick und erkannte das Bild wieder.
»Hing das nicht über dem Kamin?«
»Sie haben ein ausgezeichnetes Gedächtnis.«
»Leider nur ein optisches. Berufsbedingt.«
Amüsiert schaute Marie-Luises Vater aus dem schweren Rahmen herunter, im Jagddreß, mit grauem Schnurrbart, ein Rustikalaristokrat, aber zivilistisch, nicht Haudegen, sondern Gutsherrenklasse. »Und was macht Marie-Luises Mann?«
»Keiti«, sagte sie familiär, »ist in der Autobranche als Frühstücksdirektor. Ein reiner Statusjob. Bei der Industrie hat der Adel noch Repräsentationsfunktion.«
Wie auf Stichwort trat er ein. Straffer als auf dem Foto, gegenwärtiger, ein energischer Mann mit lustigen Augen, nur von der Kleidung her Frühstücksdirektor. Mama Eugenie sah zu ihm auf, stolz und herzlich. Er war ihr Liebling, zweifellos. Lukas griff nach der drahtigen Hand, überließ jedoch den Verlauf der Begegnung dem andern, der ihn betrachtete, als habe er ihn sich anders vorgestellt. »Das sind also Sie.«
»So ist es.«
Sie schauten einander an, ironisch-interessiert, mit gemäßigtem
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