Erknntnisse eines etablierten Herrn
verträgt sich seine politische Aufgeschlossenheit mit seinem Repräsentationsposten?«
»Ohne sie würde er ihn nicht ertragen.«
Mama Eugenie gab die Antwort auf seine Frage, und Marie-Luise lenkte ab.
»Erzähle von England.«
Bürgerlicher Wohlstand füllte den Tisch, es gab Tee und Kaffee wahlweise, dazu Sandwiches, Kuchen und Lukas’ Bericht von seinem Leben, wobei er sich auf Beruf und Wohnverhältnisse beschränkte, nicht ohne auch mit seiner Faulheit ein wenig zu kokettieren.
»Du hast dich überhaupt wenig verändert«, sagte Marie-Luise, als habe sie plötzlich den Schlüssel zu ihm gefunden.
»Das ist nicht unbedingt ein Kompliment«, antwortete er betont heiter, »deine Mutter fand das Gegenteil.«
Er versuchte ihr einen freundlichen Blick zu entlocken, aber Marie-Luise saß aufrecht, aß und trank vorbildlich, und da sie weitere Neugier nach dem Leben und Ergehen ihres Gespielen vermissen ließ, übernahm Mama Eugenie wieder die Konversation.
»Wir haben uns auch den Zeiten angepaßt. daß es gelang, was bei mir nicht leicht war, verdanke ich nicht zuletzt meinem Schwiegersohn. Ich bin jetzt Waschfrau, und das bekommt mir prächtig. Der alte Stil war nicht mehr aufrechtzuerhalten. Ich wurde immer unleidlicher. Keiti redete mir gut zu, die Welt sei voller Blickwinkel, ich solle mir in Gottes Namen einen anderen aussuchen, ich tat es mit halbem Herzen. Bis er mir eines Tages eine Maxime seiner Großmutter vorhielt: Guter Stall kann sich kommentarlos umstellen. Die hab ich mir zu Herzen genommen. Im Grunde wechselte ich nur den Salon: von Louis seize zum Waschsalon. Das Geschäft geht gut; wir bügeln auch und nähen Knopfe an, was uns die Junggesellen sichert.«
Mama Eugenie lächelte; Marie-Luise saß stumm dabei.
»Bügelst du auch fleißig mit?«
Wieder hatte er einen Anlauf genommen und wußte, daß er scheitern würde.
»Ich bin mit den Kindern ausgelastet.«
Ihr Ton klang nach Vorwurf.
»Haben Sie auch Kinder?« begehrte Mama Eugenie zu wissen.
»Nein.«
»Jaja, das Heiraten wird immer problematischer«, seufzte sie scheinbar ganz allgemein. »Und das Führen einer Ehe auch. Finden Sie nicht?«
»Ich weiß nicht. Meine Frau ist gestorben. Vor Jahren schon. Ich habe nicht mehr geheiratet.«
Als er Doreens Tod erwähnte, glaubte er Marie-Luise dabei ertappt zu haben, wie sie, im wahrsten Wortsinn, für einen Augenblick mit dem Gedanken spielte: Was wäre geworden, wenn...? doch da merkte sie, wie gut er sie noch kannte und versteckte den Gedanken sofort hinter der soliden Mauer ihrer Haltung.
Nach einem >Sehr bedauerlich< Mama Eugenies nahm er das Thema weder auf, ganz allgemein.
»Sicher wird das Zusammenleben schwieriger, wie alles immer Schwieriger wird. Aber in Zeiten des Umbruchs erfährt man dafür mehr von der Welt. Das ist es auch, was Ihren Schwiegersohn so aktiv macht.«
Während sich die alte Dame mit dem Gedanken beschäftigte, reagierte Marie-Luise überhaupt nicht, wich aber seinem Blick nicht aus, hielt ihn, bis er sie fragte:
»Wo haben wir uns eigentlich zuletzt gesehen?«
»Ich erinnere mich nur, daß du krank wurdest.«
»Richtig. Ich lag im Bett, und du kamst und hast deine Sachen geholt.«
»Kann sein.«
»Weißt du noch, wie du mich genannt hast?«
»Nein.«
»Purzel.«
»Ja?«
»Und einen Holzaffen hast du mir geschenkt und gesagt, das sei Herr Brausemüller.«
Mama Eugenie schlug die Hände zusammen. »Das ist ja schrecklich. Hol’ jetzt die Kinder, Marilou.«
Zögernd stand sie auf, ging dann rasch zur Tür, als hoffe sie, ihm ihre rückwärtigen Veränderungen unterschlagen zu können. Mama Eugenie verfolgte seinen Blick; er merkte es und leitete ihn sofort weiter zu einem Tischchen neben der Tür, auf welchem eine Schale stand, das Decor in Bleu du roi.
»Sèvres?«
»Sèvres«, bestätigte Mama Eugenie und beider Blicke verweilten auf der vollendeten Form.
»Sagen Sie, Herr Dornberg, Sie wissen doch, daß Außenministerien gelegentlich Unterlagen über zurückliegende Begebenheiten veröffentlichen. Man erfährt dann, was wirklich los war, seinerzeit.«
»Ja.«
»Und das würde ich auch gern.«
»Verstehe. Sie möchten wissen, was ich mir dabei gedacht habe, als ich die freundschaftliche Beziehung zu Marie-Luise anfing?«
»Das würde mich interessieren.«
»Ganz einfach: Ich war verliebt.«
»Ich war entsetzt. Über ihre Rücksichtslosigkeit. Marilou war ja noch ein halbes Kind und Sie ein erwachsener Mann. Das mißfiel mir
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