Erlebnisse eines Erdenbummlers
ob die Eheleute nie mehr im Leben einander ansehen wollten. In diesem Augenblicke fühlte ich die Wohltat des Alleinreisens, so wie ich sie seinerzeit am Rhonegletscher gefühlt hatte, und ich machte mich unter Wonneschauern von Glückseligkeit über eine Flasche Wein und Gorgonzolakäse her, den eine glutäugige Wirtin mit klingelnden Ohrringen herbeigeschleppt hatte. Aber selten ist der Mensch ganz glücklich.
So wurde denn auch meine Freude hier in diesem Erdenparadies durch Netze gestört, die hinterm Hause aufgestellt waren. Sie hatten den Zweck, die Zugvögel abzufangen, die von der Reise übers Mittelmeer ermüdet hier ankommen und beim ersten Versuch, ihre Füße auf den Boden zu setzen, der menschlichen Arglist zum Opfer fallen. Eine ganze Anzahl der lieben Sänger lag getötet vor den Netzen und verleidete mir den Aufenthalt an einer Stätte, die sonst aussieht wie ein Stück Himmel, das auf die Erde niedergefallen ist.
Da Fritze und Walli wegen des Bildes noch immerschmollten, so war es ausnahmsweise einmal an mir, die großen Töne zu reden. Ich kommandierte also den Vetturino ans Fuhrwerk und ließ mich an seiner Backbordseite auf dem Bocksitz nieder.
Die Straße fällt von hier ab beständig über Sorrent hinweg nach Castellammare hinunter. Zwischen uralten Ölbäumen hindurch streift der Blick aufs blaue Meer und auf den Kranz von Villen und Städten hinunter, die vom Cap Miseno über Camaldoli hinweg sich hinziehen, bis der rauchende Vesuv im Hintergrunde das unvergleichliche Panorama abschließt.
Als ich mich an der Gegend sattgesehen hatte, sah ich mich nach meinen Reisegenossen um. Sie saßen noch immer grollend nebeneinander. Um sie zu versöhnen, langte ich über mich in einen Olivenbaum hinein und brach einen mit Früchten reich beladenen Zweig herunter. Beide griffen sie danach. Dabei müssen ihre Hände sich berührt haben, und alles war auf einmal wie bei Hans und Liese wieder gut.
In Castellammare entließen wir unseren Fuhrmann und benützten zur Fahrt nach Neapel die Straßenbahn. Wir hatten noch Zeit, unsere Koffer zu packen und uns nach dem Hafen zu verfügen. Mit Sonnenuntergang fuhr der Dampfer ab, der uns nach Palermo bringen sollte. Der kleine Seelenverkäufer zerrte unruhig an seiner Ankerkette, als wir über die Laufplanke gingen, und das Meer spielte mit Seetang und allerlei Unrat, den es vom Grund heraufgeholt hatte, um unseren Kiel herum. Das waren keine Vorzeichen für eine glücklicheFahrt. Die Gesellschaft der Mitreisenden war auch nicht erstklassig, zumal da so an zwanzig Abruzzenräuber an einer langen Kette zusammengeschmiedet im Zwischendeck verstaut worden waren. Frau Kalbow schüttelte den Kopf und sah so aus, als ob sie lieber in Neapel geschlafen hätte, als auf dem Meere. Ihr Mann aber knöpfte den marineblauen Rock zu und sagte gleichmütig: »Komm's, wie's will.« Da auch ich seiner Ansicht war, so hatten wir die Majorität und fuhren los mit dem Schiff oder das Schiff mit uns.
Solange wir im Golf waren, gestaltete sich alles noch erträglich. Als wir aber Capri und die Punta Campanella hinter uns hatten, ging's los. Der kleine Dämpfling warf sich wie eine Forelle im Gebirgsbach von einer Seite auf die andere. Die Maschine ächzte, als ob sie am Verenden wäre, und als noch gar aus der Küche heraus Töpfe und Gläser widereinander klirrten, klang's wie ein wahrhaftiges Sterbegeläute um unsere Ohren.
Und doch waren wir noch nicht beim Schlimmsten angelangt. Als wir gegen Mitternacht in die Nähe der liparischen Inseln kamen, wo der Stromboli seine glühende Rauchsäule nach den Sternen warf, da entfaltete erst das Meer all seine Tücken. Von unten herauf stieß es gegen den Kiel, hob bald das Vorder-, bald das Achterschiff aus den Wassern und dazu brüllten die gefangenen Räuber im Zwischendeck wie eine ganze Hölle voller Verdammten.
Wo Herr Kalbow und seine Frau waren, wußte ich nicht. Ich hatte nur so eine ungefähre Ahnung davon,daß sie sich in eine Kabine versteckt haben könnten, um der Welt zu verbergen, wie erbärmlich es um sie bestellt sei. Ich selber vermochte mich kaum auf den Füßen zu halten, wollte mich aber um alle Welt auch nicht in eine Kabine einschließen. So kauerte ich mich denn auf dem Verdeck in der Nähe der Maschine hin und ließ mir von der Kesselwand den Rücken wärmen, während mir die Kniee in einem eisig kalten Nordwind schlotterten.
Endlich, endlich wich die sternenlose Nacht dem Tage und im Vorblick zeigten sich die
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