Erlebnisse eines Erdenbummlers
die Hand hin, um sich eine Gabe zu erbetteln.
Der Blick vom Faro aus reicht westwärts über die Meerenge bis zur Scylla hin und nordwärts bis zu den Liparen. Ein Leuchtturm steht an diesem nördlichen Zipfel Siziliens, und sein Licht fing eben an, übers Meer hin zu blitzen, als wir uns wieder südwärts wandten. Vor uns hatten wir das offene Tor einer kleinen Kapelle, und aus dieser heraus brach ein breiter Lichtschein und beleuchtete eine Masse zumeist kröpfiger Frauengestalten, die mit Rosenkränzen in den Fingern nahten, um bei der Madonna im Pinienhaine ihre Andacht zu verrichten, denn es war Samstag heute. So häßlich das Weibsvolk da war, eines mußte man ihnen lassen: Sie hatten gute Stimmen, und als ihr Ave Maria purissima sine peccatis concepta über Land und Meer hinschallte, war ich so ergriffen von der Macht des Gesanges, daß mir die Tränen in die Augen traten.
Auf der Rückfahrt war die Straßenbahn schrecklich überfüllt. Da aber Frau Kalbow noch immer stark nach Odol duftete, so gähnte um uns drei herum eine erwünschte Leere.
Wie üblich besuchten wir in den folgenden Tagen das Theater, einige Gotteshäuser und den Kirchhof. Von letzterem, der hochgelegen ist, hat man einen entzückenden Ausblick über die Meerenge hinüber nach dem Aspromonte. Schade, daß die meisten, die nach dem Campo santo kommen, in Särgen reisen und geschlossene Augen mitbringen.
Abgemalt könnte ich mich wohl an tausend Jahre in Messina aufhalten, aber so mit den Bedürfnissen des Kulturmenschen am Leibe war ich zufrieden, daß es bald wieder südwärts ging der Küste entlang, dem berühmten Theater von Taormina entgegen. Die kleine Stadt liegt auf schroffem Felsen hoch überm Ionischen Meer. Seine Eisenbahnstation heißt Giardini, und da verließen wir drei den Zug. Das erste, was passierte, war, daß Herr Kalbow einem Literaten in die Arme lief. Der muntere Herr hatte irgendwo im Lande Italia seinen Namen in die Präsenzliste eines Kongresses eingetragen und war dann ausgerissen nach Sizilien herüber. Sehr befriedigt war er von seinem Ausflug nicht. Er klagte über die Heimtücke des Regengottes, der ihm während eines dreiwöchigen Aufenthaltes in Taormina hartnäckig den Anblick des Ätna verweigert habe, und er riet uns, schleunigst wieder abzureisen. Ich bestand darauf, daß wir trotz allem und allem hinausmüßten und machte mich, um alleweiteren Erörterungen abzuschneiden, auf den Weg. Er ist lang und steil, aber er führte zu einem Fürstenschlosse empor, dem Hotel » Castello a mare «. Es war schon dunkel, als wir, von einem feinen Nebelregen stark angefeuchtet, in den mit Kronleuchtern erhellten Speisesaal traten. Ein kurzes Abendessen, und ich suchte mein Schlafzimmer auf. Es lag nach dem Meere hinaus und hatte einen kleinen Balkon. Die Brandung mußte unmittelbar unter meinen Füßen liegen. Ich hörte, wie sie gegen den Felsen donnerte, aber ich sah sie nicht. Himmel und Erde war von einem grauen, naßkalten Schleier verhüllt. »Zu ärgerlich wäre es doch, wenn uns die Wetterlaune hier an dieser Stelle gerade einen Possen spielen sollte.« Mit diesem dunkeln Gedanken stieg ich in die blendende Weiße eines tadellosen Bettes hinein und schlief alsbald.
Nach einigen Stunden wurde ich wach. Aber welch' ein Wechsel in der Szenerie! Ein silbernes Licht hatte das ganze Zimmer gefüllt. Hell glänzten mir die Vorhänge entgegen, so hell, daß ich die Arabesken der Stickereien unterscheiden konnte. Ein Satz, und ich stand im Nachthemd auf dem Balkon. Das erste, was ich sah, war über mir ein Vollmond so groß, wie ich ihn nie vor mir gesehen, und merkwürdig genug, unter mir schwamm der gleiche goldglänzende Schild auf den Wellen des Meeres. Drüben aber, durch ein Tal von mir geschieden, da gleißte ein ungeheurer Bergesriese, von silbernem Lichte umflossen und auf dem Haupte eine schneeweiße Kappe. Der Ätna war es, der erderschütternde Vulkan,der vorzeiten Lavaströme von sich ausgeschickt hatte, die siebzig Kilometer von seinem Gipfel entfernt das Meerwasser noch zum Kochen gebracht hatten. Heute aber war er friedlich, der Allgewaltige, und über seinem Scheitel kreiste nur ein leichtes Wölkchen so, als ob der Bergesalte ein Knasterpfeifchen rauchte. Ja, er sah sogar etwas spöttisch und lächelnd aus, und er schien sich zu verwundern, wie so mit einem Male ein langaufgeschossener Germane im Nachthemd gar da drüben auf den Balkon käme. ›Was machen die Deutschen?‹ schien er fragen zu
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