Erlebnisse eines Erdenbummlers
dreißig Minuten trug uns, als wir uns weidlich umgesehen, die Eisenbahn durch den Schatten von Pinienhainen unserem Schiffe wieder entgegen, und wir fuhren südwärts weiter. Gegen die zwölfte Stunde des folgenden Tages waren wir auf der Höhe von Ostia, und wer ein Fernglas hatte, der suchte über das Flachland der Campagna hinweg vor dem schwarzen Schatten der Albanerberge die Kuppel der Peterskirche zu entdecken.
Ich bemühte mich nicht allzusehr, das Riesendach zu finden. Denn erstens kannte ich es ja von früher, und zweitens war all mein Denken dem Vesuv zugewandt, den ich mir in voller Tätigkeit furchtbar und herrlich zu gleicher Zeit wie die Gottheit selber vorstellte. Für meine Ungeduld hatte übrigens das Schiff kein Verständnis. Der alte Kasten bummelte seinen alten Trott weiter, und es ging noch eine Nacht herum und beinahe noch ein ganzer Tag, bis das Cap Miseno in Sicht kam.
»Jetzt dürfte man schon eher den Vesuv riechen,« sagte ich zu Frau Kalbow. Sie rümpfte die Nase, hob sich auf die Zehenspitzen und sagte: »Doch, und ganz sicher, ich seh' ihn auch schon. Bemerken Sie nicht, da links am Fockmast vorbei eine lichte Stelle, nicht größerzunächst wie ein Feigenblatt? Aber passen Sie wohl auf, der Lichtpunkt wird wachsen.«
Und er tat es auch, und als wir näher kamen, war es das Leuchtfeuer der Insel Procida.
»Da haben Sie Ihren Vesuv,« sagte ich zu Frau Kalbow. »Wollen Sie ihn nicht ins Handtäschchen packen und mit nach Weinheim nehmen?«
»Ich hab' ihn schon, und denken Sie nur: in der Nase. Hören Sie doch, wie ich nießen muß.«
Sie nieste in der Tat, und ich sagte »Gesundheit«, aber ich hätte das Wort noch hundertmal wiederholen können, denn andere Passagiere fingen gleichfalls zu niesen an, und ich muß wohl annehmen, daß es Nasen gibt, die, empfindlicher als die meine, bereits den Lavastaub merkten, der über den Wassern in der Luft schwebte.
Während wir noch schäkerten und uns gegenseitig neckten, machte sich am östlichen Horizont von Zeit zu Zeit ein Aufleuchten bemerkbar, wie das Wetterleuchten eines heranziehenden Gewitters.
»Walli, du kannst mich dauern, so unbeschirmt wie du nach dem Süden gereist bist,« sagte Herr Kalbow, »bis wir vom Schiff nach dem Hotel kommen, ist dein neuer Hut dir vom Kopf hinweggeschwommen. Ich habe soeben den ersten Tropfen Regenwasser ins Gesicht bekommen.«
»Ich auch. Aber ich glaube, die Tropfen sind nur das Kondenswasser aus dem Schornstein.«
Mit dieser glücklichen Bemerkung verscheuchte ich aus Wallis Gesicht die Angst und das Mitleid mit ihremneuen Hut. Von da ab konnten wir drei die Blicke wieder dem Osten zukehren, wo sich hinter kämmenden Wogen ein ruhiges Leuchten wie Nordlicht über einem Fjord gelagert hatte.
Höher und breiter wurde nach und nach der purpurne Teppich, während doch in Minutenabständen hellblinkende Lichter von blau, gelb und rosa über ihn hinüberhuschten. »So wie da vor mir die Gegend,« dacht' ich mir, »muß die Welt ausgesehen haben, als der Herr das Wort gesprochen: ›Licht soll es werden.‹«
Und es wurde Licht auch um unser Schiff. Das feste Land schied sich von dem Wasser. Enger zog sich der Golf von Neapel zusammen, und man unterschied die Felsenschroffen von Capri und Sorrent. Wie Leuchtkäfer hingen an ihren Klippen die erleuchteten Scheiben menschlicher Behausungen.
Auch übers Bugspriet hinaus erschaute man jetzt ein anderes Bild. Stolz und kühn liefen zwei schwarze Linien zu einem spitzen Dreieck zusammen, über dem ein grauer Drache schwebte, der statt der Eingeweide ein ewiges Feuer in seinem Bauche wälzte. Aber nur für eine Minute stimmte dieses Bild. In der nächsten schon blühte über dem Bergesgipfel eine ungeheure Feuertulpe auf, fraß die Rauchsäule des Drachen in sich hinein und stand in allen Farben des Regenbogens erstrahlend da wie ein kristallener Kelch, aus dem nur Götterlippen den blutigen Nektar schlürfen.
Nein, wie sank bei solchem Anblick doch das kleine Ich zu einem Nichts zusammen, so winzig und unbedeutend,daß es sich kaum zu atmen getraute! Redet mit Zungen aus Höllenflammen geformt, all ihr Fastenprediger zusammen, nie werdet ihr die sündige Menschenseele so zermalmen können, wie es einzig ein solcher Anblick zu tun vermag!
Und dazu noch von Zeit zu Zelt das Grollen und Donnern aus den unheimlichen Tiefen des gefährlichen Berges heraus. War's nicht der reine Wahnsinn von unserem Schiff, daß es sich nach dem Feuerspeienden hinbewegte,
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