Erlebnisse eines Erdenbummlers
statt sich von ihm zu entfernen?
Indessen, wir waren rings um uns her von Millionen von Lichtern umgeben. Ein strahlender Polyp hatte seine Arme um uns geschlungen und uns eingefangen. Lange Reihen von Gaslaternen standen stramm wie Soldaten da und beleuchteten die Kais. Der Bug knirschte gegen eine Mole, und die Laufplanke rutschte über den Schiffsrand herüber. Wie Treibholz im Bergstrom wurden die Passagiere ans Ufer geschwemmt. Dahin und dorthin verlor sich die Menge in schmale Gäßchen hinein.
Unser Trio fand in einem Hotel auf der Chiaja, wo ich früher schon war, ein Unterkommen. Mich aber duldete es nicht in den engen Räumen eines Gebäudes und wär' es ein Palast gewesen. Ich mußte ins Freie hinaus, an einen Ort hin, wo ich einen Umblick genoß und vor allem den geheimnisvollen Berg vor mir hatte. In Sprungschritten, als ob mir das Phänomen entschwinden könne, eilte ich um den Pizzofalcone herum nach der Piazza Plebiscito. Dort hinterm Königspalaste stand ich wie festgenagelt und schaute nach dem Vesuvhinüber, dem eine rotglühende Feuerstola vor der Brust hing, Vernichtung drohend den Häusern von Portici. Diese Stola, von der fortwährend wie Lämmer von der Weide weiße Wölkchen sich hinwegstahlen, war das dickflüssige Herzblut des Vulkans, Saft von jenem Safte, unter dem vor zweitausend Jahren die Städte Stabiae, Pompeji und Herculanum wie unter einem Brotteige erstickt waren.
Allgewaltig ist der Anblick der entfesselten Naturgewalten. Und doch des Menschen Herz gewöhnt sich an alles! Während die empörte Woge ihm übers Gesicht leckt, schläft im Mastkorb der Matrose. Wenn der Vesuv Feuer speit, lacht der Neapolitaner erst recht. Die Zigarette zwischen die Lippen gedrückt, geht er schäkernd mit seinem Schatz spazieren. Der Lazzarone pfeift, und ein Dudelsackbläser verdient sich ein paar Soldi mit seinem Gewimmer. Nicht einmal die Grisetten in ihrem Erwerbsbestreben werden von dem drohenden Höllendrachen am Berge drüben erschreckt. Eine aus der Zunft mit goldenen Reifen in den Ohrläppchen hat sich an mich herangebirscht und flüstert mit Sirenentönen: » Signore, Signore, la camera mia è vicina. «
Als ich ins Hotel zurückkam, saßen Herr und Frau Kalbow noch bei einer Flasche weißen Capriweines, und die Dame ließ sich folgendermaßen vernehmen: »Hören Sie, Doktorchen, man soll hier in der Stadt so billige Handschuhe zu kaufen kriegen. Daß Sie mir nur den Fritze nicht vor die Tore schleppen, bevor dies Geschäft allhier erledigt ist.«
Die gute Frau hatte am nächsten Tage Ruhe vor mir. Mich zog es hinweg nach den Ruinen von Pästum hinunter. Früh umfuhr ich den Vesuv und tat gut daran. Da waren meine Lungen noch nicht zugestaubt, denn heute zum ersten Male sollt' ich erfahren, was es bedeuten wollte, wenn einst die kranke Mutter sagte: »Macht, Kinder, keinen Staub und laßt doch nicht die Lampe rußen, kaum kann ich's noch erschnaufen.«
Schon bei den Granilis war die Lust mit gepulverter Asche erfüllt. Bei Greco war's, als ob man nur ins Himmelblaue zu greifen brauche, um sich Streusand aus der Luft zu holen. Der Geruchsinn war verschwunden, und hören tat man schon gar nichts mehr. Keuchend wie durch Schneewehen hindurch arbeitete sich die Maschine auf dem Bahndamm weiter. O, wie so schneckenmäßig langsam lief der Zug der Station La Cava entgegen! Hier wo der Apennin seine Berge wie Kulissen schützend gegen das Meer vorschiebt, verschwand das aschgraue Einerlei von den Fluren, und Grün trat wieder hervor auf Wiesen und Wald. Heil uns Reisenden! Auf dem Wege zum Paradies hatten wir die Vorhölle hinter uns gebracht. In tiefem Tale geht's gegen Salerno vor und bald sahen wir, wie die altberühmte Universitätsstadt ihre Türme und Häusergiebel im blauen Azur des Tyrrhenischen Meeres spiegelt. Zur Rechten wird's nun flach, während zur Linken die baumlosen Ausläufer des Apennin sich in die Ebene stürzen. Nicht lange mehr und schon sieht man die Silhouetten alter Griechentempel aus dem Boden steigen.
» Paestum « heißt es vor einem armseligen Bahnhof, und ich als einziger verlasse den Zug. Ist es denn möglich? Kann eine Stadt und eine Gegend, die einst wegen ihrer Rosenzucht weltberühmt gewesen, derartig vereinsamen? Noch stehen ohne Dach in ernster Würde die dorischen Tempel da und noch die meterbreiten Stadtmauern, die einst das lustige Völkchen der Sybariten umzirkelten. Aber wo ist am Tore der Wächter, wo in den Basiliken der Priester, wo auch nur der
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