Erlebnisse eines Erdenbummlers
geistlichen Herrn und seinem Knochengestell unmittelbar zusammenhing. Gott hat den Mann so geschaffen, wie er sich uns zeigte, und auf den Schöpfer fällt die Schuld, wenn ein paar junge Mädchen von ihrem Seelsorger mehr gesehen haben sollten, als man so im Alltagsleben zu zeigen pflegt. Sie schienen übrigens an derartige Perspektiven gewöhnt zu sein. Sie erröteten weder, noch kicherten sie in sich hinein. Mehr als ihr Pfarrer und seine Kehrseite schien sie ein Harmonikaspieler zu interessieren und ein fliegender Händler, die mit eingestiegen waren und unterwegs ihre Geschäfte machten in Liedermelodien, Korallenschnüren und Hosenträgern.
Langsam und in beständigem Ansteigen fährt die Bahn von Station zu Station. Anfangs geht's durch Reben-, Feigen- und Orangenhaine.
Dann folgen ganze Haselnußwälder. Reiner undklarer wird die Luft. Man sieht in ein tiefes Tal hinunter, aber vergebens sucht man auf seinem Grund den rauschenden Bach. Sizilien ist ausgetrocknet, wie ein Weihnachtsgutsel um die Osterzeit. Auf dem vulkanischen Boden kommt nur ein magerer Graswuchs fort, während andererseits die genügsame Kaktusfeige in ihrer Verwendung als Gartenzaun über Mannshöhe hinaus in die Lüfte wächst.
Leute steigen aus und andere ein. Sonderbare Erscheinungen sind unter diesen Reisenden. Da ist einer mit einem wahrhaftigen Räubergesicht unter einem zerrissenen Schlapphut. Seine Kleidung besteht aus einigen Lumpen, über die er eine Kuhhaut gehängt hat. Mit trotzigem Gesicht hat er sich niedergelassen, und zwischen die halbnackten Schenkel hat er ein Gewehr gestellt. Der Schaffner kommt und bemüht sich mit allen Zeichen einer tiefen Devotion dem Gentleman ein Billett zu verkaufen. Er begegnet nur einem ärgerlichen Kopfschütteln mit einem drohenden Griff nach dem Gewehrkolben, als seine Liebesmüh anfängt, lästig zu werden. So ein Schaffner auf der Cirumaetnea muß ein horrendes Einkommen haben, wenn die Gefährlichkeit seines Berufes mit Gold aufgewogen werden kann.
Als übrigens der Flintenträger lang genug gefahren war, verließ er den Zug.
Der Pfarrer mit seinen Spanferkeln war auch fort und ich beschäftigte mich mit den Flöhen, die ich von meinen durchlauchtigsten Mitreisenden geerbt hatte, als wir Nikolosi erreicht hatten und einen Ausblick gewannennach den roten Bergen hin, alten Ausbruchstellen des vielzerrissenen Berges.
Von jetzt ab kam der Zug in ein besseres Lauftempo hinein. Die Route senkte sich gegen Catania hinunter, und als es Abend wurde, war ich dort. Die Verabredung stimmte auch diesmal. Mit den Kalbows traf ich im Hotel zusammen. Wir blieben über Nacht und fuhren erst am nächsten Tage weiter gegen Syrakus zu.
Syrakus ist nur noch ein Schatten von dem, was es einstens war. In einer Stunde ist man um seine Häuserhäufchen herumgegangen, während man acht Stunden brauchte, um die alte Stadt zu umschreiten. Wir drei Reisende hatten uns in einem kleinen Hotel eingemietet, das den Namen »Arethusa« trug und einer deutschen Witfrau gehörte namens Zunke. Gleich bei der ersten Mahlzeit lernten wir da einen italienischen Obersten namens Erba kennen, die höchste Militärperson, die es am Orte gab. Ich habe dem Herrn in mehr als einer Beziehung dankbar zu sein. Er hat mich am ersten Abend gleich aus einer Falle gezogen, die so geschickt aufgestellt war, daß ich voraussichtlich nicht ohne Schaden die Pfoten wieder aus den Eisen gebracht hätte. Ich war nämlich im Halbdunkel ausgegangen, um einen Barbier zu suchen. In den engen Straßen war ich unter einen Haufen halbwüchsiger Mädchen geraten, denen ich mit dem rechten Zeigefinger die Pantomime des Bartscherens vormachte. Sie schienen sofort verstanden zu haben, was ich wollte, denn es begann unter ihnen352
ein heftiger Kampf um meine Persönlichkeit. Die eine hatte mich am Ärmel gefaßt und wollte mich in einen Hausgang hineinziehen, die andere packte mich an der Hosentasche und deutete nach einer kleinen Winkelgasse, während andere vor meinen Augen allerlei Figuren mit den Fingern in der Lust machten. Da ich nirgends das Zunftzeichen der Haarkünstler, die goldene Schüssel sah, so war ich mißtrauisch und suchte mich den kleinen Sirenen zu entziehen, während diese wie Stechbremsen nur immer zudringlicher wurden und, ehe ich mich dessen versah, zu einem Ringelreigen angetreten waren.
In diesem Augenblick einer schier komischen Bedrängnis hörte ich eine Reitpeitsche durch die Luft schneiden und sah den Obersten Erba, wie er
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