Erlebnisse eines Erdenbummlers
wäre? Es war unmöglich, ja der Name überdauerte sogar seinen Inhaber, wie sich sogleich zeigen soll.
Gehe ich da eines Tages zu Worms von der Martinskirche nach dem Obermarkte zu an dem Eisengitter eines Vorgärtchens entlang. Bei meiner Seele Seligkeit, ich dachte an nichts so wenig als an Gallien und all die Völker, die seine Grenzen einst bevölkerten, und doch mit einem Male standen Büffel, Auerochsen und römische Krieger wieder vor meiner Seele, und zwar beim Anblick eines kleinen Schildes, das die Aufschrifttrug: Gustav Wallenstein, Großherzoglicher Notar. Der »Gahlier« mußt' ich denken, und ich hätte nichts anderes denken können, selbst nicht an Reue und Leid über meine Sünden, und wenn mir einer das Messer an die Kehle gesetzt hätte. Also lebt er noch, so folgerte ich aus dem Blechschild weiter, und da gerade in einem Fenstergewand des unteren Stockwerkes ein Dienstmädchen mit einem Putzlappen herumgeisterte, so faßte ich mir ein Herz und rief der Küchenfee entgegen: »Mein Fräulein, ist der Gahlier zu Hause?«
Ich weiß nicht, ob das ominöse Wort begriffen war oder nicht. Ich merkte nur, wie das Mädchen mich mit leeren Augen fragend ansah, und ich verbesserte meine Rede und fragte, ob der Herr Notar zu Hause sei, und erhielt als knappe Antwort das Wörtchen: »Nein!«
»So ist er ausgegangen – verreist?«
»Nein!«
»Aber wo steckt er denn, Fräulein, wenn er nicht zu Hause, nicht ln der Stadt und nicht in der Fremde ist?«
»Im Grabloch,« sagte die ländliche Schöne und putzte gefühllos an einer Fensterscheibe weiter.
»Im Grabloch!« Wie dieses Wort mich doch erschüttert hat! Im Nu stand ein Dutzend Menschen um mich herum, die alle einmal mit mir jung und fröhlich und jetzt tot waren.
Auch du warst unter der Gesellschaft der Abgeschiedenen, mein guter Leibbursche August Weber, der du die neue Welt meines Geistes, ein zweiter Kolumbus, entdeckt hast. Tierarzt bist du nur gewesen und hast dochbesser in Menschengehirnen zu lesen verstanden als mancher Psychologe.
Apropos! Daß ich nicht vergesse, dich meinem Publikum vorzustellen! Hört Leute! Weber war von mittlerer Größe. Über den schwarzen Schädel lief ihm eine kunstgerechte Läuseallee von der Stirne bis tief ins Genick hinein. Seine Brust zierten zwei Bänder, drei Bierzipfel seine Magengegend, während in seiner Rechten der Elfenbeingriff eines Wappenstockes lustig auf- und niedertänzelte. So schritt in Kidlederstiefeln der Übermensch über das Pflaster Gießens, das Entzücken aller Vogelsberger, auch wenn sie vom Burschentum nur eine blasse Ahnung hatten. Daß sein hehres Aussehen mich bestochen hatte, mag der Umstand dartun, daß ich diesen Adonis zum Leibburschen gewählt habe. Gut, er tat mir den Gefallen und nahm mich an. Mehr noch, er kümmerte sich sogar um mich, führte mich zum Friseur, trank mir zuweilen vor oder setzte sich sogar neben mich, um sich von mir allerlei aus meinem Vorleben erzählen zu lassen, wenn ich angetrunken war. Lag mir damals schon etwas Autoreneitelkeit im Sinn, daß ich die Leute liebte, die ihr Ohr meinem Gesange öffneten? Mag sein, denn ich erinnere mich genau, daß ich meinem Leibburschen gegenüber sehr gesprächig wurde, und daß es mich mit stolzer Freude erfüllte, wenn er zu meinen Geschichten lachte. Ach und er konnte lachen! Lachen, so recht aus tiefstem Herzensgrund. Lachen, daß die größten Krakehler stumm wurden und die Wände zu tönen anfingen.
Als er wieder einmal lachend an meiner Seite saß,näherte sich uns mit vornehm überlegener Miene ein anderes bemoostes Haupt. Es war ein Herr Räuschenberg, vielgewandert von einer Universität zur anderen und doch bis heute noch nicht soviel erstarkt, daß er den Gang ins Examen hätte wagen können. Als er, ohne mich eines Blick zu würdigen, stolz an unserer Tischecke vorüber wollte, suchte mein Leibbursche ihn mit den Worten festzuhalten: »Setz dich da mal her, Räuschenberg, und hör' dem krummen Fuchs da zu, wie der erzählen kann.«
Wunder über Wunder! Der weltgereiste Herr, der gefürchtete Fechter, der die scharfe Klinge schlug, er setzte sich neben dem krassen Füchslein nieder und er lauschte auf seine Worte, zwar nicht derart, daß darüber sein Durst zu kurz gekommen wäre, aber er lauschte doch. Bald erhob er sich wieder und ging. Im Abgehen hatte er noch die Gnade, daß er mir herablassend auf die Schulter klopfte und die ermunternden Worte sprach, die ich in meinen »Sechs Schwaben« einem
Weitere Kostenlose Bücher