Erlebnisse eines Erdenbummlers
anderen in den Mund gelegt habe: »Junge, aus dir wär' was zu machen, wennste Talent hättest!«
Warum ich diese Geschichte hier erzählt habe? Nun weil ich durch sie dartuen wollte, wie manchmal das Huhn das Körnchen findet, nach dem das Auge des Geiers vergeblich geschaut hat. Hatte ich nicht siebzig und noch mehr deutsche Aufsätze geschrieben, ohne daß von irgendeinem meiner Lehrer eine schriftstellerische Begabung in mir auch nur geahnt worden wäre. Und da mußte ausgerechnet ein Student der Tierarzneikundekommen und herausfinden, daß ich Talent zum Erzählen hätte, und ein Bummler mußte es bestätigen.
Gefallen hat es mir in Gießen nicht. Der Student lebte dazumal fast nur im Wirtshause. Um elf Uhr hatte man zum Frühschoppen bei Andreas Weidig zu erscheinen und die halbe Nacht über saß man auf der Kneipe. Wer am meisten trinken konnte, kam zu Ansehen bei seiner Korporation und wer eine gute Klinge zu führen verstand, konnte im Städtchen seinen Namen zu einem gefürchteten machen. Doch auch ein derber Prügel konnte ein Gegenstand werden, der einen aus der Mittelmäßigkeit heraushob.
Nicht selten waren nämlich die nächtlichen Holzereien der Studenten untereinander. Korps und Burschenschaften standen gegenseitig beständig in Waffenverruf und stießen sie im Hellen oder Dunkeln aufeinander, so begann die Prügelei. Wer eine Mütze oder gar ein Band bei einer solchen Gelegenheit ergattern konnte, hängte sie als Siegestrophäe in seinem Zimmer auf. Wer Beulen am Kopfe hatte, schämte sich und rieb sie schweigend ein.
Gottserbärmlich waren auch die Wohnungsverhältnisse des Studenten zu meiner Zelt. Die neueren Stadtteile überm Graben existierten noch nicht, und die alten Holzbaracken der inneren Stadt standen nur, weil sie nicht umfallen konnten. Windschief hing ein Haus übers andere hinüber. Die Türen waren verzogen, die Treppen ungleich und die Fenster schlossen nicht. Dem Winde war es eine Kleinigkeit, einem das Gucklicht auszublasen,wenn man sich einmal entschlossen hatte, zu Hause zu bleiben und einen Brief zu schreiben. Ich wohnte ein Semester lang in einer derartig verzogenen Bude, daß ich vorwärts fiel, wenn ich von der Tür nach dem Fenster strebte, und den Kopf an die Decke anschlug, wenn ich wieder zurückwollte. Den Abort vertrat ein Eimer, der geheimnisvoll auf dem Hausgang hinter einem grünen Vorhang lauerte. Streit und Zank mit den Hausleuten ersetzten das Morgen- und Abendgebet, und sie hätten auch über Mittag angedauert, wenn man es nicht vorgezogen hätte, sich selber an die Luft zu setzen, und so den Gerüchen zu entgehen, die aus den Geißenställen und Hühnerhöfen zu den Musensöhnen in den Dachkammern emporkletterten.
Daß ich im dritten Semester bereits mein Philosophikum bestanden habe, verdanke ich nur der Frechheit, mit der ich ins Examen ging, und dem Zufall, daß ich das wenige gefragt wurde, wovon ich eine blasse Ahnung hatte.
Schwer ist mir der Abschied von der Musenstadt an der Lahn nicht geworden. Als ich noch ein letztes Mal auf der Ruine Staufenberg den Schläger mit einem Marburger Burschenschafter gekreuzt hatte und mit leichten Schrammen davongekommen war, packte ich meine Siebensachen zusammen, um in die Osterferien zu gehen. Kein weibliches Auge ist bei meinem Weggang naß geworden. Abgesehen von einigen Theologen war in unserem Bunde keiner verliebt, und wenn es einer gewesen wäre, so hätte er es niemandem gezeigt, am wenigsten dem geliebtenWesen selber. Wir waren viel zu sehr Übermenschen, als daß wir uns um das schwache Geschlecht hätten kümmern sollen.
Die Würzburger Glöckle haben e wunderschön's Geläut
em Leben in Würzburg ging ich erwartungsvoll entgegen. Ältere Verkehrsgäste unseres Bundes hatten viel Rühmens von dieser Universität gemacht und die Lage der Stadt und das Treiben in ihr in schönen Farben gemalt. Es war ein Frühlingstag, an dem ich das Maintal hinauffuhr. Er neigte sich schon seinem Ende zu, als, von der Abendsonne rosig angehaucht, zuerst das Kloster Himmelspforte und dann die Marienburg vor meinen schönheitshungrigen Blicken auftauchte. Gleich darauf hielt der Zug und ich stand auf dem Perron des Würzburger Bahnhofs. Als ich einen Blick in die Wartesäle warf, fiel es mir auf, daß sie voller Leute saßen. Es kam mir vor, als ob die ganze Menschheit aus lauter Geschäftsreisenden bestünde, die, Gott weiß wohin, von ihren Bedürfnissen getrieben wurden. Ich kannte zur damaligen Zeit noch nicht die
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