Erlebnisse eines Erdenbummlers
Schützenjoppe und die mächtigen Schenkel flossen in schönen Linien in ein Paar eleganter Reiterstiefel hinein. Dabei war keine Spur von Plumpheit an ihm. Im Gegenteil, alle seine Bewegungen waren so rund und elegant, als ob er sie einem Zirkuskünstler abgeguckt hätte.
»Er wird der Schrecken unserer Gegner auf dem Fechtboden sein und das Entzücken aller Würzburgerinnen auf der Sonntagsparade, wenn er aktiv wird,« das war der Gedanke, der jedem von den Burschenschaftern aus den Augen leuchtete. Und Venedey brauchte nicht gekeilt zu werden. Er wollte aktiv werden. Er war mit der Absicht erschienen, einzuspringen, und unaufgefordert stellte er seinen Antrag und bat um die Rezeption. Gewiß, er hätte am gleichen Abend noch im Schmucke der Farben als Renommierfuchs die Kneipe verlassen können, wenn er nicht mit dem Bekenntnis herausgerückt wäre, daß er in einen Ehrenhandel verwickelt sei. Seine kurze und bündige Aussage darüber enthüllte etwa folgendes: Kaum abgestiegen in einem hiesigen Hotel, hatte sich die Wirtin in ihren Gast verliebt. Diese Selbstverständlichkeit einem Adonis gegenüber verletzte die älteren Rechte eines Stammgastes und das Renkontre war da und endete mit einer Säbelforderung. Michel hatte angenommen und sein Ehrenwort gegeben, daß die Mensur innerhalb dreier Tage zum Austrag kommen solle.
Als man ihn auf der Arminenkneipe frug, ob er denn fechten könne, meinte er: »Nein, aber das ließe sich doch wohl innerhalb dreimal vierundzwanzig Stunden erlernen.«
So unwahrscheinlich dieses auch war, die Burschenschaft konnte den verwegenen Fuchs nicht im Stiche lassen, und da er nun schon einmal sein Ehrenwort verpfändet hatte, so nahm man ihn am nächsten Tage mit auf die Fechtscheuer, gab ihm den Säbel in die Faustund zeigte ihm, was eine Terz und eine Quart ist. Michel stellte sich nicht ungeschickt an, allein er war noch weit von einem Fechtkünstler entfernt, als die drei Tage schon verstrichen und die Mensur auf dem Malzspeicher einer Brauerei gezogen war. Ich selber war als Verkehrsgast der Burschenschaft von der Teilnahme an dem Ehrenhandel ausgeschlossen. Was ich darüber weiß, stammt aus dem Munde eines Augenzeugen, der mir das Folgende berichtet hat:
»Venedey hatte zwar Arme wie ein Fleischerknecht, allein was wollte die rohe Kraft bedeuten einem Gegner gegenüber, der athletisch gebaut und als gewandter Fechter stadtbekannt war. Und nun denke dir nur unseren Schrecken! Als die beiden eben bandagiert waren und antreten sollten, erscheint mit grauen Haaren ein Weib auf der Bildfläche. Sie schreitet auf dem Kothurn einer Antigone über die knarrende Diele des Speichers hin, nimmt den Säbel in die Hand und erscheint vor unserem Paukanten mit den Worten: »Michel, mach' deinem Vater Ehre!« Und rate einmal, die Heroine, wer war's? Venedeys Mutter war's, seine leibliche und wahrhaftige Mutter. Nein, so was war noch nicht erlebt worden. Die Sekundanten sahen einander staunend an. Der Paukarzt zog die Hände aus dem Karbolwasser und putzte seine Brille. Der Unparteiische stemmte sein Notizbuch in die Seite und wußte nicht, was er beginnen sollte.
»Indessen hatte Venedey seine Mutter beiseite geschoben und war vorgetreten auf den Kreidestrich. Sein Gegner ließ nicht auf sich warten. Das Kommandoertönte, und die Klingen fuhren mit scharfem Klang gegeneinander. Eins, zwei, drei Gänge waren vorüber, ohne daß noch ein Tropfen Blut geflossen war. Es war zu sehen, zu fühlen, mit Händen zu greifen, Venedeys Gegner sondierte seinen Feind. Er wollte wissen, wen er vor sich hatte, bevor er einen Hieb riskierte. Er lauerte auf eine Blöße und wenn er die gefunden hatte, dann – aber erst dann – holte er zu dem Streiche aus, der die Mensur beenden mußte. Wie vorauszusehen war, so kam's. Im vierten Gang warf Michels Gegner den rechten Arm mit dem ganzen Oberkörper blitzschnell vor. Der Hieb pfiff durch die Luft und fiel mit einem dumpfen Ton nieder auf den Schädel unseres Paukanten. Ein panischer Schrecken lähmte die Zunge der Sekundanten. Sie vergaßen »Halt« zu rufen. Die Zeugen nur stürzten vor und fingen den Michel auf. Mit ellenlangen Schritten kam der Paukarzt herangeeilt und drückte den nassen Schwamm auf Venedeys Kopf, von dem ein blutiges Rinnsal übers Ohr hinweg nach der Schulter lief. Man mußte das Schlimmste befürchten. Ohne gespaltenen Schädel konnte man sich den eben noch so strammen Fuchs schon gar nicht mehr vorstellen. Eine schöne Geschichte
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