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Erlebnisse eines Erdenbummlers

Erlebnisse eines Erdenbummlers

Titel: Erlebnisse eines Erdenbummlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Karillon
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könne, und mit der Hand seinen Striefelbart streichend, begann er würdevoll die folgende Rede: »Nicht wahr, Wallenstein, du findest es unbegreiflich, warum deine Mitschüler lachen. Ich will es dir sagen, wenn du mir versprichst, dich für alle Zukunft einem Gesetze zu unterwerfen, das für jeden seine Gültigkeit hat, selbst für jene Menschen, die in Gauahlgesheim geboren wurden. Und dies Gesetz, verstehe mich wohl, es gebietet mit zwingender Notwendigkeit, daß ein Vokal, dem zwei Konsonanten folgen, unter allen Umständen kurz ausgesprochen werde. Es heißt also nicht, wie du gelesen hast, Gahlia sondern Gallia . Nun nachdem du solches gehört hast, wirst du nie mehr im Leben in die Versuchung kommen, dich gleicherweise an dem heiligen Geiste einer erhabenen Sprache zu versündigen. Frisch dran jetzt und übersetze ins Deutsche, was du soeben lateinisch vorgetragen hast.«
    Wallenstein besann sich nicht länger und brüllte los: »Ganz Gahlien ...«
    Weiter kam er nicht. Ein ungeheures Gelächter erfüllte den Saal. Federhalter trommelten von selber auf den Tintenfässern, Lineale tanzten auf den Bänken, Absätze schlugen den Takt zu einer Indianermusik auf dem Stubenboden. Alles war in Bewegung, alles im Wirbeln mit Ausnahme von zwei Menschen, die sich wie Schulze und Müller gegenüberstanden im Kladderadatsch. Der große Wallenstein war der eine und sein Klassenführer der andere. Lange freilich dauerte das bange Schweigen der beiden auch nicht, da fuhr der letztere los, und seine zornigen Worte kollerten kantig und scharf über seine Lippen: »Hat es je einen traurigern Beruf gegeben, als der des Lehrers ist? Bringt nicht der Steinhauer seine Steine klein, formt nicht der Grobschmied das Eisen, macht nicht der Wagner aus Krummholz den Radschuh? Einzig nur dem Lehrer ist es aufgespart, daß er keinen Erfolg von seiner Arbeit sehen darf. Was ist ein Sisyphus gegen unsereinen? O du Rindvieh im Quadrat, wie lange willst du das a im Worte Gallia ziehen? Etwa bis es zu einem Stricke wird, um dich dranzuhängen? Könnt' ich dich baumeln sehen wie das Feldhuhn an der Tasche des Jägers, meine Frau und Kinder wollt ich opfern und mich als Witwer mit dem Ovid in der Tasche durch das Leben schlagen, wenn ich nur deinem Anblick entfliehen könnte. Stammst du von einem Seiler ab, daß sich alles bei dir in die Länge ziehen muß?«
    Der Professor schwieg ganz erschöpft von einer solchen Expektoration klassischer Gedächtnisvorräte.
    Wallenstein selbst war wie ein Fernrohr in sich selber hineingesunken und saß zerschlagen wie die Tabakpflanze nach dem Hagelschlage still und traurig auf seinem Platz.
    Neben ihm aber war's derweilen lebendig geworden. Der Peter Eichhorn hatte angefangen, dem großen Übersetzer des großen Feldherrn mit den Absätzen die Waden zu bearbeiten. Auch stach er ihn unterm Tische mit dem Bleistift in die Schenkel. Kein Wunder, daß der Namensvetter des Friedländers endlich aufgeregt und zapplig wurde. Der Klassenführer aber nahm dies unruhige Wesen seines Schülers als eine Auflehnung gegen seine Worte hin und schickte den Interpreten des krummnasigen Römers vor die Tür. Während Wallenstein extra muros lebte, hatte sich über ihn und seine Taten bereits die Satire hergemacht und ihn selber umgetauft. Als er in der Zehnuhrpause wieder vor seinen Mitschülern erschien, war er etikettiert und gestempelt. Er hieß von da ab nicht mehr Wallenstein, sondern nur noch der Gahlier, wie er sich auch mit Fußtritten und Faustschlägen gegen diesen Namen zu wehren suchte.
    Von Mainz nach Gießen war ein weiter Weg, und Wallenstein durfte wohl hoffen, daß ihm sein Spitzname nicht nachfolgen würde auf die Universität, zumal da er jetzt in der Lage war, jede ihm angetane Schmach mit der scharfen Schneide des Schlägers zu rächen. Und doch, Wallenstein hätte leichter wie der Schmetterling seine äußeren Formen abwerfen können als seinen Spitznamen.
    Eines Tages war er wieder da, der unleidliche Gahlier. Von wem war der Name hereingetragen in die Kneipe der Alemannen?
    Wallenstein hatte mich in Verdacht, und es kam zu einer wüsten Szene zwischen uns beiden. Wenig fehlte, und ich wäre aus der Burschenschaft hinausgeflogen, ohne daß Wallenstein davon einen Vorteil gehabt hätte, denn der Name hing nun einmal an ihm, und er begleitete ihn sogar ins Philistertum hinüber. War ich späterhin imstande, mir den blondlockigen Notar vorzustellen, ohne daß der Name Gahlier mir in den Sinn gekommen

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