Erlebnisse eines Erdenbummlers
süße Gewohnheit aller Bayern, in den Bahnhöfen mit Vorliebe ihren Abendschoppen zu trinken. Dieser Brauch rührte wohl daher, daß man in den Wartesälen Gelegenheit hatte, wieder einmal mit alten Bekannten zusammen zu treffen, ihnen die Hand zu drücken, ein paar Worte zu wechseln und Neuigkeiten zu erfahren. Ich drängte mich mit meinem Gepäck durch die fröhlich zechende Menge hindurch und kam vor den Bahnhof. Ein Nachtquartier fand ich in der »Blauen Glocke«, und als ich gegen neun Uhr am nächsten Morgen vom Zusammenläuten geweckt wurde und die Wirtstochter mir den Kaffee brachte, wußt' ich schon, daß die Kapitelüberschrift stimmt, und auch daß die Würzburger Mädli kreuzbrave Leut' sind.
Meine vollbusige Hebe hatte mich nämlich auf das genaueste unterrichtet, wo man die Woche über in der Stadt die größten Kalbshaxen bekam, und wo ich sie selber in ganzer Wesenheit an den Sonntagen finden würde, wenn es mich gelüsten sollte, einen Arm voll Brusttee im Walzertakt herumzuschwenken. Das war für meinen vorläufigen Wissensdurst gewiß sehr schätzenswert, zunächst aber fehlte es mir an einem Logis. Ich ließ mein Gepäck im Schutze der offenherzigen Wirtstochter und bemühte mich, das Juliushospital aufzufinden. Im Portal desselben entdeckte ich bald das schwarze Brett und an diesem eine Masse von geschriebenen Zetteln, die Studenten aufmerksam machen sollten, wo ein leeres Zimmer zu finden wäre. Eine von diesen Anschriften verwies mich auf die Bohnesmühlgasse, wo ich denn auch bei einer wohlgenährten Frau Raninger eine saubere und leidlich geräumige Stube fand und von der allwissenden Studentenmutter erfuhr, daß die Burschenschaft im Hofbräuhausihre Kneipe und im Theaterkaffee ihren Mittagstisch hätte. Wenn ich der guten Frau noch eine Zeitlang Gehör geschenkt hätte, so konnte ich erfahren, wieviel Hunde die Mönanen hatten und wieviel Geld ihnen der Heidungsfelder Jude vorgestreckt zur Feier ihres letzten Stiftungsfestes. Doch was ich über die Würzburger Verhältnisse jetzt schon wußte, genügte mir. Ich ließ mein Gepäck in die Bohnesmühle schaffen und richtete mich allda ein mit dem festen Vorsatz, meine Studien nicht zu vernachlässigen, im übrigen von den Lebensfreuden an mich zu raffen, was sich von einem gesunden, jungen Menschen nur ergattern ließ. Und diesem meinem Streben war der Genius Loci zugetan. Über dem klaren Fluß, in dem sich neben der Brücke die Burg und das lustige Wallfahrtskirchlein spiegelte, zitterte eine kristallklare Atmosphäre von leichtsinniger Lebensbejahung. Weiter hinaus als an das Heute dachte keiner von den behäbigen Spießern, die mit dem umgebundenen Schurzfell ihren Frühschoppen tranken, dachte keine von den leichtfüßigen Bürgerstöchterchen, die am Arm des Studenten nach der Zeller Waldspitze wanderten oder mit dem Galan im Hofgarten zu Veitshöchheim hinter verschnittenen Buchsbaumhecken Theater spielten. War's da ein Wunder, wenn der Musensohn mitgerissen wurde in den Strudel der Freude hinein? Seid gesegnet, frohe Tage an den sonnigen Ufern des silberblauen Maines, gesegnet ihr Lippen, die mir gelächelt, der Wein, den ich getrunken, und nicht zuletzt seien gesegnet die Freunde, deren Lieder mich entflammten, wenn wir freudetrunkenvon Dürrbach niederstiegen in den feurigen Nebel, der abends die kirchenreiche Stadt vergoldete.
Von den vielen feuchtfröhlichen Gesellen, die ich im Laufe von fünf Semestern kennen lernte, hat keiner einen so nachhaltigen Eindruck auf mich gemacht als Michael Venedey. Seinen Vaternamen hat die badische Revolution vom Jahre 1848 bekannt genug gemacht, und was die nicht tat, das brachte Heinrich Heine fertig, der den idealen Schwärmer mehr als ausreichend in der Sauce seines lauchigen Witzes garkochte. Gut für den Dichter der Loreley, daß er nicht mehr lebte, als der junge Venedey ein Kerl von zwanzig Jahren war. Heine wäre sicher keines natürlichen Todes gestorben.
Der Michel war nämlich ein wahrer Herkules an Kraft. Als er mit seiner Ulmer Dogge, die Reitpeitsche unterm Arm zum ersten Male auf der Arminenkneipe erschien, waren aller Augen voll Verwunderung auf den jungen Halbgott gerichtet. Sein frisches Gesicht leuchtete wie die Morgensonne und ein verwegenes Lächeln, das um seinen Mund spielte, schien so verächtlich auf die Erde niederzuschauen, als ob er hätte sagen wollen: »Was kannst du trüber Klumpen einem Göttersohne anhaben.« Der breite Thorax stak in einer knapp anliegenden
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