Erlebnisse eines Erdenbummlers
Lausejunge seinen Schatz haben mußte, und der Einfachheit halber teilte man jedem Hänsel die als seine Grete zu, die eben auf der Mädchenseite den gleichen Platz einnahm wie er auf der Bubenseite. Da man mich mit der schwarzäugigen Kleinen neckte, so war es nur natürlich, daß ich mir mein Teil genauer ansah. Die Kirchgänge gaben dazu die beste Gelegenheit. Da ich hinter ihr kniete, so konnte ich ihren Nacken bewundern und das zarte Rosa, das von ihm übersprang auf ein weiches, schier durchsichtiges Ohrläppchen. Ihr Gesicht bekam ich nur selten zu sehen, und wenn sie an mir vorüberging und ich auch noch so freundlich grüßte, so schien mir doch zwischen ihren dunklen Brauen immer so etwas Stolzes zu liegen, was ungefähr sagen wollte: »Dummer Junge, was dir bestimmt mag sein, steckt noch im Tragkissendrinnen.« Mädchen denken weiter voraus als Knaben.
Auch daß ich heute Maulesel war und das Recht hatte, Pfeife zu rauchen und den Hut verwegen aufs Ohr zu setzen, machte keinen Eindruck auf sie.
Gleichwohl oder war's vielleicht gerade deshalb, liebte ich sie. Kurzum, ich hatte die Kinderkrankheit meiner ersten Leidenschaft aus der Volksschule heraus durch alle Klassen des Gymnasiums hindurchgeschleppt und nahm sie auch mit auf die Universität. Zweierlei Folgen waren mit diesem Seelenzustand verbunden. Einerseits störte die heimliche Sehnsucht meinen Lerneifer, andererseits befruchtete sie ihn wieder, indem ich mir sagte, was würde sie wohl für ein Gesicht machen, wenn ihr zu Ohren käme, daß du sitzen geblieben! Gewiß ist, daß die Neigung zu dem stolzen, engelreinen Mädchen mich sicherer als alle Schutzengel vor dem Gemeinen bewahrte. Wie aufgeputzt das flitterbesetzte Laster an mich versuchend herantreten mochte, ein Gedanke nur an dieses mein Ideal aller Weiblichkeit, und ich blieb Sieger gegen die Lockungen des Blutes. Sei drum gesegnet, du mein Gabriel, auf welchem Sterne du zurzeit auch weilen magst, gesegnet von deinem Tobias trotz der Fasttage, die er deinetwegen erduldet hat, als ein Gedicht zu deinem Preise in meinem Gebetbuch vom Rektor Erler gefunden worden war!
Möglich, daß meine Stiefmutter von meiner heimlichen Liebe etwas gemerkt hatte. Es gab eine heftige Szene zwischen uns beiden, und mein guter Vater, demjeder Zank ein Greuel war, gab mir Geld zum Reisen. In dem Buche »Adams Großvater« findet man, wenn auch etwas idealisiert, zusammengestellt, was ich damals erlebte.
Es steht ein Wirtshaus an der Lahn
ndessen war ich schlüssig geworden, daß ich Arzt werden wolle. Unendlich freute ich mich auf die Studentenzeit. Mein Vater hatte mir in verständiger Weise einen Einblick in seine Vermögensverhältnisse gewährt und mich wissen lassen, daß ich nicht allzusehr zu sparen brauche. So zog ich denn guten Mutes gegen Gießen hin. Einige meiner Mainzer Compennäler fand ich dort schon vor, und da diese sich der Burschenschaft angeschlossen hatten, so war es nur natürlich, daß auch ich diesem Bunde beitrat. Der Mann, auf den wir als unseren Führer und besten Fechter viel Vertrauen setzten, hieß Wallenstein. Leider kam ich mit ihm zu einem recht gespannten Verhältnis. Um dies zu erklären, muß ich noch einmal um fünf Jahre zurückgreifen. Wallenstein war der Sohn eines Bäckers in Gaualgesheim. Er hatte sich zu Hause einige Vorkenntnisse im Lateinischen erworben und war zu uns ins Mainzer Gymnasium gekommen, als wir eben das bellum gallicum des Julius Cäsar zu lesen begannen. Professor Keller stand vor der Klasse und hatte uns in weitschweifiger Weise auseinandergesetzt, daß der Mensch im allgemeinen und der Gymnasiast im besonderen bestimmten Gesetzen unterworfen sei, die unter allen Umständen und unter allen Breitengraden unserer Erde nicht außer acht gelassen werden dürften. Als er mit seiner langatmigen Erklärung endlich fertig war, wandte er sich mit der Frage an Wallenstein: »Nun, du Neuzugetretener, sag' einmal, hast du dich auf die Lektüre des Julius Cäsar gehörig vorbereitet?«
Der Aufgerufene bejahte und fing sofort mit lauter Stimme zu lesen an: » Gahlia est omnis divisa in partes tres .« Ein schallendes Gelächter erschütterte die ganze Klasse. Verdutzt hielt der blondgelockte Leser inne. Verwundert sah er sich um mit den wasserblauen Fischaugen. Hatte man ihn zum Besten? Warum lachten die Mitschüler? Die frechen Stadtbuben? Warum schmunzelte sogar der Lehrer selber?
Herr Keller fühlte, daß außer ihm kein anderer hier Klarheit schaffen
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