Erlebnisse eines Erdenbummlers
anders als nur dem Namen nach? Mit Schrecken aber wurde mir jetzt auf einmal klar, daß mein seitheriges Handeln, wenn man es böswillig beurteilen wollte, so genannt werden konnte.Geld hatte ich nie im Überfluß besessen, aber es wäre mir doch nicht eingefallen, daß ich mir durch erheuchelte Zärtlichkeiten ein Vermögen hätte erschwindeln wollen. Ich besaß ein Abgangszeugnis mit der Note »Sehr gut« von der Universität Würzburg in der Tasche, und die Gießener Alma mater hatte mir vorsichtig bestätigt, daß »bezüglich meines Betragens nichts Nachteiliges bekannt geworden sei«. Unter so bewandten Umständen mußten mir auch ohne Erbschleicherei die Millionen in den Schoß fallen. Frau Gründlich hatte das Gegenteil von dem erzielt, was sie erzielen wollte. Meine Besuche bei dem kranken Mädchen wurden seltener, und ich bin mir heute nicht einmal recht klar darüber, ob ich von der Kranken einen formellen Abschied genommen habe oder nicht.
Auch einer anderen hatte ich nicht Adieu gesagt, die in Rimpar wohnte und in » O domina mea « eine Rolle spielt. Weibertränen sind also bei meinem Abgange von Würzburg so wenig geflossen als bei dem von Gießen, dagegen reichlich Bier, denn es hatten einige Freunde mich zum Bahnhof begleitet, Hieber, der als Arzt in Lörrach starb, und Rennert, den der Tod aus Frankfurt heimholte in seine dunkle Kammer.
Besonders freudig war ich bei meiner Fahrt das Maintal hinab und durch den waldigen Spessart nicht gestimmt.
Das Gefühl, daß ich nun ganz auf mich selbst gestellt sei, machte mich unsicher, zumal, wenn ich mir vorstellte, daß ich demnächst ganz unter Bauern leben müßte,ohne daß ich von der Landwirtschaft und Viehzucht mehr verstand als den Unterschied zwischen einem Kalb und einem Hammel.
»Muß selber nun Philister sein«
u Hause angekommen, grüßten und beglückwünschten mich eine Menge alter Bekannter. Von keinem aber war ich lieber gesehen worden als von dem gichtbrüchigen Doktor Willmann. Er hatte seit langem mit meinem Kommen gerechnet, weil er sich einmal zu einem Sprunge in die Welt hinaus ein paar freie Tage machen wollte. Gerne war ich bereit, ihn zu vertreten. Denn so auf einem Fuhrwerk bei guten Wegen durch die Täler hinzuklappern, das erschien mir als der Gipfel allen Erdenglückes.
Aber Willmann war kaum fort, so änderte sich das Wetter. Unendlicher Schnee fiel vom Himmel und auf der Höhe von Oberabsteinach war ich dem Tode des Erfrierens so nahe wie die Weißrübe, die im Felde vergessen worden ist. Es schien überhaupt so, als ob der Sensenmann nur so hinter mir herschleiche, um mir bei der ersten besten Gelegenheit das Lebenslicht auszublasen. In Aschbach war ich auf dem Stauweiher eines Hammerwerkes beim Schlittschuhlaufen eingebrochen, und in Bad Nauheim, wo ich den Doktor Grödel vertrat, holte ich mir an einem Kinderkrankenbette die Diphtherie. Nocherinnere ich mich genau der qualvollen Stunden, in denen ich mit der Atemnot zu ringen hatte. Was war das doch für eine Nacht, in der ich mich von einer Seite auf die andere warf, ohne das finden zu können, was mich doch zehn Kilometer hoch so massenhaft umgab, die Luft.
Wie ein Gürtel schnürte mir ein eiserner Reif die Rippen zusammen und trieb mir das Blut nach dem Kopfe. Farbige Kränze schwebten vor meinen Augen. In den Ohren war ein verworrenes Singen, aus dem heraus ich nur ab und zu die Sätze hören konnte: »Warum hast du dich jetzt nur geplagt und dein Examen gemacht? Warum nur, wo du doch nun dem Tode verfallen bist?«
Doch noch war es nicht ganz so weit. Meine zähe Konstitution blieb Sieger über die Heimtücken der Krankheit. Ich erholte mich verhältnismäßig schnell unter der sorgsamen Pflege der Frau Doktor, und als ich erst wieder auf sein und die eingelaufene Post lesen konnte, genoß ich mit Wonne die Gewißheit, daß es noch Menschen gab, die an mich dachten. Fräulein Himmelreich hatte mir nämlich eine Anzahl lyrischer Gedichte zugesendet, in denen von Vergißmeinnichten die Rede und die aus einer Fleischerzeitung ausgeschnitten waren. Wer sie auch gemacht haben mag, ihm sei dafür gedankt. Vom Rande des Grabes abermals zurückkehrend, war ich sehr empfänglich für Zärtlichkeiten, und wenn man's mit den Reimen nicht so genau nahm, so konnte man die Versfüße hinunterschlucken, als ob sie wie Schnuten und Pfoten in einer braunen Sauce lägen.
Indessen war Doktor Grödel wieder heimgekommen und ich mußte wandern. Als sichtbaren Gewinn meines
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