Erlebnisse eines Erdenbummlers
ein Arm des Rheines. Drübenan seinem anderen Ufer lag das Wörth, auf dem die Backsteinmacher im Sommer die Ziegel brannten, während sie im Winter die Erdarbeiten verrichteten. Zu diesen Menschen sollte ich hinüber. Wie aber wollte ich das machen, da doch kein Nachen weit und breit zu sehen war?
»Das Eis trägt,« ermunterte der Bote, »die Schulkinder sind über Tags vom Wörth nach Hamm gegangen, und ich selber habe die Fläche vor einer Stunde erst überschritten.«
Nur keiner Gefahr aus dem Wege gehen! Wer in ferne Länder wollte, durfte sich vor dem Wasser nicht fürchten. Ich also hinter dem Arbeiter her auf die glatte Breite des schneeüberdeckten Eises.
Anfangs ging alles gut, obwohl ein gefahrdrohendes Krachen und Springen sich fortwährend unter unseren Sohlen hören ließ. Plötzlich aber ein Schrei, und vor meinen Augen war mit samt der Laterne der Bote verschwunden. Ehe ich meinen Schritt noch hemmen konnte, fühlte ich schon, daß ich im kalten Wasser auf dem Manne lag. Nun gab's da im Nassen ein verworrenes Zappeln und Tasten, bis wir beide auf den Beinen standen. Zum Glück für uns war die Stelle, wo wir einbrachen nicht tief und nahe dem anderen Ufer, und als wir erst wieder in der Senkrechten uns befanden, waren wir außer Lebensgefahr. Wenige Schritte nur, und wir hörten den Kies der sandigen Halbinsel unter unseren Schuhen knirschen.
Nun hieß es wacker ausschreiten, denn in hellemGalopp froren unsere Kleider zu steifen Panzern zusammen. Kaum noch, daß es möglich war, die Knie krumm zu machen in den eisigen Röhren der Hosen. Doch in der Ferne winkte ein Licht, und wir beide eilten drauf zu. Welch eine Glut schlug mir nun aber entgegen, als ich plötzlich in die niedere, überheizte Wochenstube trat. Ein rotbackiges Säulenöfchen warf tausend feurige Pfeile gegen mich und im Nu fing ich an zu rinnen wie der Tugendbrunnen vor der Lorenzikirche zu Nürnberg. Wenn das so fort ging, mußten einige Katzen versaufen, die da auf dem Boden spielten mitsamt einigen Wickelkindern, die auf einem niederen Gestell wie Reisigbündel aufgestapelt lagen. Trockene Kleider waren erstes Erfordernis für mich, wenn anders ich ans Werk der Nächstenliebe schreiten sollte. Zum Glück war der Sonntagsanzug eines Arbeiters bald aus dem Kasten herausgekramt, und ich fühlte mich von warmem Zeug umhüllt, wenn es auch schon peinlich war, den Kostümwechsel vor einem geschlechtlich gemischten Publikum vornehmen zu müssen. Nun, die Notwendigkeit ist ein gewandter Helfer, und unter ihrer Mitwirkung gelingt gar manches, was anfangs unmöglich schien. So war ich denn bald mit mir und auch mit der Wöchnerin fertig und lernte es sogar rasch, als ich an mir heruntersah, über mich selber zu lachen, wie auch die Leute über mich lachten, als der Weltbürger gewaschen war und sie Zeit gefunden hatten, mich in meinem Anzuge zu betrachten.
Sobald man sich genügend über mich amüsiert hatte, wußte man nichts Rechtes mehr mit mir anzufangen.Man kochte mir Kaffee und als ich den getrunken hatte, und der Tag immer noch nicht kommen wollte, machte eine alte Frau den Vorschlag, sie wolle die größeren Kinder aus dem Bette jagen und ich solle mich auf deren Platz legen. Indessen sei wohl gegen Morgen das Eis fester geworden, und ich könne dann gefahrlos über den stillen Rheinarm hinüberschreiten.
Ich ging auf das Ansinnen ein, zog mich aus und schlief in dem vorgewärmten Bett in der Tat einige Stunden lang noch recht gut. Als ich erwacht war, schien eine bleiche, kalte Wintersonne durch die gefrorenen Fensterscheiben mitleidig auf meine Bettdecke und ich bemerkte, daß letztere derartig überflickt war, daß man nur schwer entscheiden konnte, wo der Urstoff aufhörte und der Flickstoff seinen Anfang nahm.
Vom Hauptstrom herüber hörte man das Knistern und Springen des Treibeises, und ein kalter Wind strich schneidend durch die dünnen Backsteinmauern. Da außerdem der neue Weltbürger zu brüllen angefangen hatte, überkam mich ein gelindes Grausen vor meiner verzweifelten Lage und ich beschloß, den Rückweg anzutreten, selbst auf die Gefahr hin, daß ich nochmals einbrechen sollte. Den Ermahnungen der Wöchnerin folgend, trank ich als Prophylaktikum gegen Erkältungen abermals Kaffee und machte mich dann auf den Weg. Das Eis mußte in der Tat in den Morgenstunden dicker geworden sein, denn es trug mich sogar ohne inneres Knirschen, und ich kam lebend und trocken, wenn auch in fremden Kleidern steckend, ans andere
Weitere Kostenlose Bücher