Erlebnisse eines Erdenbummlers
Meran zurück, und sie hat außer uns keine lebende Seele mehr, die sich ihrer annimmt, und da haben wir gedacht, wir wollen sie zu uns nehmen um Gottes Barmherzigkeit willen, und morgen wird sie da sein, und wennSie wollen, so werden Sie sie sehen können. Nicht daß wir sie für Geld sehen ließen, aber da die Tür, um Luft zu schaffen, offen stehen bleibt, so ist Ihnen, wenn Sie übern Gang gehen, der Blick nach der Ärmsten gewiß nicht verwehrt.«
Wäre ich am gleichen Tage zu Hause geblieben, so hätte ich wohl erlebt, daß eine Kutsche vorfuhr, die Nachbarsleute die Fenster aufrissen, Herr Gründlich vor die Tür stürzte, ein Bündel aus dem Wagen hob und es behutsam über die Stiegen bis zum zweiten Stockwerk emportrug, wo Frau Gründlich erwartungsvoll stand und sich nicht genug wundern konnte, wie gut doch die kleine Base aussehe, und wie es von ihr ein glücklicher Einfall gewesen wäre, nach Meran zu gehen. Nein, das müsse sie selber sagen, wenn es nun auch viel gekostet habe, das Geld sei nicht umsonst zum Fenster hinausgeworfen worden.
Während so ihr zahnloser Mund sprach, mag ihr Kopf gedacht haben: »Wie mich das arme Ding dauert. Wenn's in Meran einen Kuckuck gibt, so war das der letzte, den sie hat schreien hören.«
Genau so wie Frau Gründlichs Gehirn dachte auch das meine, als ich am nächsten Tage vor ein Sofa in der guten Stube gerufen wurde und einen Wust von Decken sah, aus denen ein schönes, aber unendlich bleiches Antlitz mit verschüchterten Augen gnadeflehend zu mir emporsah. Ich weiß nicht, ob es anderen Männern in ihrer Jugend auch so ergangen ist wie mir. Die brutale Gesundheit roter Backen stieß mich ab, währenddas Leidende, namentlich wenn es mit Ergebung gepaart war, etwas unendlich Anziehendes für mich hatte. Daß ich in unseren kranken Besuch verliebt gewesen wäre, kann ich nicht sagen, aber gleichwohl wußte ich, daß ich nicht anders gegen sie mich betragen könne, als ob ich von ihrem Wesen sympathisch angezogen wäre. In einer Art von Großmut nahm ich mir sogar vor, mein Interessegefühl für sie zu übertreiben. Gab ich ihr nicht ein artiges Geschenk, wenn ich dem kranken Kinde den Glauben beibrachte, daß sie die Neigung eines gesunden, jungen Mannes zu erregen vermöchte?
Der Himmel sei mein Zeuge, daß ich mich nicht für einen Apollo gehalten habe, aber dessen war ich mir gleichwohl bewußt, daß abgesehen von unterschiedlichen Kellnerinnen eine sehr vermögliche Fleischerstochter namens Himmelreich ein Auge auf mich geworfen hatte.
Wenn ich also für so viele Gesunde ein erstrebenswerter Gegenstand war, wie hoch mußte dann nicht von den Augen einer Kranken mein Besitz eingeschätzt werden! Kurz und gut, ganz gleichgültig war mir das Mädchen nicht, und ich gab mir aufrichtig Mühe, ihr, wo ich konnte, ab und zu eine kleine Freude zu machen. Ich kaufte ein Veilchensträußchen und trug es ihr zu. Ich erzählte ihr dumme Geschichten aus dem Studentenleben und brachte sie zum Lachen, und ich quälte ihrem Stammbuch zu Gefallen die Muse der Dichtkunst. War's nur ein grausam Spiel, das ich mit der Armen trieb?
Alles, was Schwiegermutter zu werden hofft, wird »Ja« sagen und mich dafür in den Grund der Hölleverdammen. Meine Hauswirtin dachte anders. Sie freute sich herzlich des kleinen Glückes, das ihrem Pflegling in den Schoß gefallen war, und sie wußte tausend Gelegenheiten zu schaffen, die mich veranlassen sollten, ab und zu am Krankenlager der Kleinen zu verweilen.
Während das Examen meine Zeit in Anspruch nahm, muß sie gefürchtet haben, mein Interesse könne erkalten, und sie fing mit dickem Holz in wohlwollender Gutmütigkeit an, mir einzuheizen: »Herr Doktor,« sprach sie eines Tages zu mir, »Sie sollten nicht gewaltsam das Wasser abwenden, wenn es auf ihre Wiese laufen will. Verstehen Sie mich doch! Unser Fräulein ist alleinstehend in der Welt, und niemand ist da, der ein Recht hätte, auf ihren reichen Nachlaß eines Tages zu hoffen. Mein Mann und ich, wir haben im Stillen die Sache oft schon besprochen, und wir würden von ganzem Herzen Ihnen alles gönnen, was da einmal mit einem einzigen Federzug für Sie reif werden und abfallen kann.«
Wie war mir denn eigentlich nur zumute bei solch' einer offenherzigen Erklärung? Im ersten Augenblick kam es mir vor, als ob ich geohrfeigt worden wäre. Hatte ich bei meiner Rücksichtnahme auf die Kranke jemals an einen materiellen Vorteil gedacht? Kannte ich das, was man Erbschleicherei nennt,
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