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Erlebnisse eines Erdenbummlers

Erlebnisse eines Erdenbummlers

Titel: Erlebnisse eines Erdenbummlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Karillon
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Nauheimer Aufenthaltes nahm ich einen Sommerüberzieher mit hinweg, den ich mir gekauft, und ein illustriertes Exemplar des Gil Blas, das mir ein Herr v. Löw geschenkt hatte.
    Mein Weg ging jetzt über den Rhein hinüber. An einem seiner Altwasser in der Gemeinde Eich war ich unter mehreren Bewerbern als Armenarzt erwählt worden. Meine Wohnung war ein verlassenes Bauernhaus mit vielen Stuben, in die ich mich mit den Ratten teilte, während in der halbleeren Dunggrube die Frösche zu nächtlichen Serenaden ungebeten ihre Instrumente stimmten. Was der Hofreite außer einem Stall voll Vieh noch fehlte, fand ich in einer Wirtschaft, die mir gerade gegenüber in der Dorfgasse stand und den Namen »Zum Löwen« führte. Man kann nicht besser aufgehoben sein, als ich es bei den braven Wirtsleuten war. Und was ich da für meine ganze Verköstigung im Tage zahlte? Ich geniere mich, es niederzuschreiben. Man bekäme heute keine rauchbare Zigarre dafür. Um die Leute einigermaßen schadlos zu halten, ließ ich mir über Tisch eine Flasche ihres besten Weines vorsetzen. Da kam es nun manchmal vor, daß ich nicht alles trinken mochte und mir von einem Nachbarn helfen ließ, mit dem ich zuweilen auf den Altrhein fuhr, wenn er Wildenten schoß. Diese meine Liberalität war nicht nach dem Sinne meiner Wirtin, obwohl sie doch ihrer Kasse nicht zum Schaden gereichen konnte. Und so stand sie denn eines Tagesvor mir mit der Erklärung: »Daß Sie es wissen, Herr Doktor, ich habe meinem Mann anempfohlen, den »Goldberger« in halbe Flaschen abzufüllen. Haben Sie Durst, so trinken sie zwei Halbe. In der Art bezahlen Sie doch nur, was Sie getrunken haben. Es ist nicht nötig, daß Ihr Huhn sein Ei ins Nest reicher Leute legt.«
    Ich erzähle dies Ereignis, weil es zeigt, wie vordem die Menschen waren, als der unselige Geldhunger, der mit den französischen Milliarden ins Land gekommen war, noch nicht die deutsche Volksseele angefressen hatte.
    Unter der mütterlichen Fürsorge der Löwenwirtin war ich zu neuer Leibwäsche gekommen und sogar zu einem Sparkassenbuch, dessen Zahlen sich nach meinen Begriffen unheimlich vergrößert hatten, so oft es mir neuerdings zu Gesicht kam. Für gewöhnlich befand es sich in den Händen des Polizeidieners Rüßler. Einen Gröberen als er in seinen äußeren Formen war, hätte man in der absolut ländlichen Bevölkerung nicht auftreiben können, und so war er durchaus naturgemäß zur Würde des Dorfbüttels gelangt, zumal da er gerne einen Schoppen trank und deshalb ein Auge zudrückte, wenn die Wirtsuhren nach Mitternacht ihren Gang verlangsamten.
    Wie er mein Tresorchef geworden war? Nun, ich hatte ihn von meinem Vorgänger übernommen, wie der Thronfolger von der toten Majestät einen brauchbaren Minister übernimmt. Er kam am Quartalschluß und holte meine Rechnungen ab. Die offenen Zettel trug er den Leuten überm Essen in die Häuser hinein. Er sagte nicht »Guten Tag«, sondern nur: »Vergeßt nicht, demDoktor sein Geld aufs Fensterbrett zu legen, ehe ihr ins Feld geht! Gegens Abendläuten komm ich vorüber und nehm's mit.« Und er machte selten einen Metzgersgang. Unter den Groben genießt der Gröbere immer noch ein Ansehen und setzt seinen Willen durch.
    Hätte ich irgend eine geistige Anregung gehabt, so hätte es mir in Eich lange gut genug sein können. Allein dieses rein vegetabile Hinleben unter den Bauern befriedigte mich nicht. In mir war ein ewiges Drängen und Schieben nach den großen Horizonten des Lebens. Die flache Gegend ermüdete mich; sie war mir zu übersichtlich, zu gefahrenarm. Ich wünschte Schrecken um mich herum. Auf Schroffen wollte ich hinaufklettern, und in Abgründe wollte ich hinuntertauchen. Wenn ich bei hellem Wetter im Osten den Melibokus sehen konnte, dann verzehrte mich das Heimweh nach den Bergen wie ein Fieber, und Tag und Nacht schmiedete ich Pläne, wie ich aus dem Engen heraus und in die größere Weite kommen möchte. »Wie du den Wolf auch füttern magst, immer schielt er nach dem Walde.« Irgendwo hatte ich damals diesen Ausspruch gelesen, und wie ein Stempel hatte er sich meinem Gedächtnis eingeprägt, nicht weil er leicht zu behalten war, sondern weil er schon darinnen stand, lange bevor ich wußte, daß der Kulturmensch für ein sicheres Stallfutter das Beste, was an ihm ist, seine Freiheit verhandelt hat.
    Um die innere Glut zur Siedhitze zu steigern, war der älteste Sohn des Dorfpfarrers Jung für einige Monate nach Hause zurückgekehrt. Er war

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