Erlebnisse eines Erdenbummlers
meinst, man müsse nicht nur die Waffe besitzen, sondern sie auch zu gebrauchen verstehn. Ich will deiner Ansicht nicht widersprechen, allein mir graust es vor den Schießgewehren. Denke dir nur, ein Zufall hat mich davor bewahrt, einen Menschen niederzuknallen.«
»Ich bin begierig, dein gefährliches Erlebnis zu erfahren.«
»Ich war noch Gymnasiast und eben in den Osterferien nach Hause gekommen. Als ich die erste Nacht durchgeschlafen hatte, sah ich im Zimmer die Koffer meines Bruders Karl stehen. Er war aus Amerika zugereist, um seine Heimat wiederzusehen. Du kannst dir denken, daß ich neugierig war und gern gewußt hätte, welche Schätze in den Koffern waren. Ich fing also an zu kramen und nestelte unter den Wäschestücken einen Revolver hervor. Es war ein vierläufiger Militärrevolver, dessen Hahn sich beim Aufziehen drehte und nacheinander in die vier Röhren schlug. Mit großem Interesse musterte ich das Ding. Es kam mir harmlos vor und weil die Läufe hinten mit Kupferblättchen geschlossen waren, so hielt ich die Waffe für nicht geladen. Zufällig trat unser Dienstmädchen ins Zimmer. ›Soll ich dich totschießen?‹ drohte ich scherzhaft und drückte los. ›Knack,‹ sagte der Revolver.
»Ehe ich zum zweiten Male aufziehen konnte, trat mit verstörten Zügen mein Bruder ins Zimmer.
›Was machst du da?‹ fragte er.
›Ich hab' des Spaßes wegen auf die da einmal angelegt.‹
›Ein schöner Spaß,‹sagte mein Bruder, nahm mir die Waffe aus der Hand und schüttelte vor meinen Augen die vier Patronen heraus. Ein Lauf war's, der versagte, und in den hatte zum Glücke der Hahn geschlagen. Ich stand wie versteinert.«
»Und bist seither den Schußwaffen ausgewichen?« bemerkte Weidig mit leisem Spott.
»Ja, und ich habe einen Revolver nicht mehr angerührt, sogar den nicht, den ich bei einem Preiskegeln einmal gewonnen hatte. Er blieb auf dem Tische liegen und ist die Beute eines anderen Spielers geworden.«
»Du hättest ihn nehmen sollen. Man kann nie wissen, ob man nicht einmal auf sich selber schießen muß. Ich will dir etwas anvertrauen, Karrillon. Zwei und ein halbes Jahr werde ich in dem Loche da nicht bleiben. Sobald sich Gelegenheit bietet, reiße ich aus und verschwinde übers große Wasser hinüber. Komme ich in der Neuen Welt empor, gut, dann ist es recht, sinke ich aber, so soll dies Schießeisen mein letzter Helfer sein«.
Wir brachen ab in der traurigen Unterhaltung, denn der Beschließer hatte die Saubohnen gebracht. Sie schmeckten mit einem Stückchen Schweinespeck zusammen nicht übel. Mir aber war der Aufenthalt in dem hohen, schmalen Käfig mit seinem vergitterten Fenster unerträglich. Welch niederträchtiges Gefühl ist es doch, eingesperrt zu sein. Mit wahrem Heißhunger nach Luft sehnte ich die Stunde herbei, wo ich zur Bahn mußte, und doch, ich durfte den armen Gefangenen meine Sehnsucht nicht merken lassen.
Endlich war's fünf Uhr des Abends, die Schlüssel des Kerkerwärters klirrten, und ich wurde erlöst. Ein Schnellzug nahm mich auf und führte mich nach Rockenhausen zurück mitsamt meinem Reiseköfferchen und dem Vorsatz, daß ich mit meinem Lose zufrieden sein wolle, solange ich noch im Freien wohnen dürfe. Ich gewöhnte mich an den Gedanken, daß ich ein Bauerndoktor bleiben müsse, und richtete mich danach ein.
Im Oktober 1880 hatte ich Hochzeit gemacht und war von Worms aus mit meiner Frau nach Köln gefahren, um der Domeinweihung beizuwohnen. Welch einen Unsinn hatte ich damit doch gleich in den ersten Tagen meiner Ehe gemacht! Da wir weder zu den hohen noch höchsten Herrschaften gehörten, mußten wir uns wie Treibholz auf dem Wildbach des zusammengeströmten Volkes herumschieben und -stoßen lassen. Nirgends war für uns Platz. Strecken half auch nicht immer, wenn wir etwas sehen wollten. Um wenigstens meiner Frau den Anblick des Festzuges zu ermöglichen, hatten wir einen zerlumpten Lazzaroni gemietet, der unseren Lederkoffer trug. Sobald nun irgendein Hoch aus den Gassen ertönte und anzeigte, daß eine prominente Persönlichkeit nahe, wurde meine Frau auf den Koffer gehoben. So genoß ich durch die Augen derselben den Anblick des alten Kaisers, Bismarcks, Moltkes usw. und nebenbei mit der eigenen Nase die Gerüche alter Kleider und trangeschmierter Stiefel aus der Eifelgegend.
Doch der Abend brachte eine neue Überraschung. Unser Trio hatte sich auf dem Domplatz neben einerTribünenwand aufgepflanzt, meine Frau wie immer auf dem Koffer. Die
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