Erlebnisse eines Erdenbummlers
Schnaufen zu tun. Auf der Wasserscheide hatte er gar Halt gemacht, um sich auszuruhen.
»Was da drüben auf der Höhe liegt, ist wohl Ruppertsecken,« so redete ich den Müden an, »und die Häuser in der Mulde werden Marienthal vorstellen sollen?«
Der Mann nickte mir bejahend zu und nickte noch einmal, als ich sagte: »Ihr seid wohl müde?«
»Ja,« gab er jetzt als ersten Laut zurück, »Ihr könnt Euch denken, wenn man vom Glan bis hierher in dem Schnee gelaufen ist.«
»Und nichts gegessen hat,« fügte ich seiner Rede bei.
»Und nichts gegessen,« wiederholte er mechanisch.
»Das könnt ihr nachholen, wenn wir nur erst in Marienthal sind.«
»Ich hab zum Einkehren kein Geld. Ich bin ein armer Müllersknecht vom Lauterbach da hinten. Alle zwei Wochen hab ich einen freien Sonntag und den verlebe ich in Dannenfels da vornen bei den Meinen. Für's Wirtshausgehen da reicht's nicht.«
»Laßt das Bezahlen meine Sorge sein, tut mir nur den Gefallen und kommt mit,« entgegnete ich.
Der Mann sah mich mißtrauisch von der Seite an, schwieg und humpelte neben mir her den Berg hinab. Als wir ins Dorf kamen, streckte ein langer Eisenarm uns einen goldenen Stern entgegen.
»Da ist das Wirtshaus,« sagte mein Begleiter, »wenn Ihr einkehren wollt.«
»Ihr geht doch mit?«
»Ich? Wenn's sein muß und Ihr zahlen könnt,« und er warf abermals einen schier beleidigenden Blick auf mich und meinen Anzug. Als ich ihn nun am Ärmel faßte und an ihm zog, gab er nach und überschritt mit mir die Türschwelle.
Der Wirt stand vor seinem Ofen und wärmte sich den Hintern. »Viel verzehren die auch nicht,« dachte er. »Einen Schnaps vielleicht,« und er griff, um unseren Gruß zu erwidern, nur lässig mit der Hand nach seinem Stülpkäppchen.
Als ich nun aber eine Flasche Wein bestellte und Eier mit Schinken, kam Leben in seine hölzerne Figur und er fing an, zu knixen und zu dienern, und er hatte sich nach kurzer Frist zur Türe hinaus in die Küche hineingedienert. Nicht lange mehr und der Wein stand auf dem Tisch und neben ihm das Essen. Himmelwetter, wie da der Mühlknecht eingehauen hat! Bald war die Schüssel leer und der Wein war getrunken. Nur das Bezahlen blieb noch übrig. Ich wollte es erledigen und suchte nach meiner Hosentasche. Gefunden hab ich die auch. Was ich aber nicht fand, das war mein Portemonnaie. Kein Wunder, denn es stak noch in den Alltagshosen zu Rockenhausen. Was nun? Zum allerersten Male in dem Tal, in dem Dorf, im goldenen Stern! Eine flotte Zeche gemacht und nun kein Geld, um zu bezahlen! Höllenschrecken müssen nach und nach in mein Gesicht getreten sein, denn ich sah, wie der Mühlknecht bleichen Angesichts mit steigender Furcht von mir ab und der Tür entgegenrückte. Als der Sternwirt für einen kurzen Augenblick nur das Zimmer verließ, hatte mein Kostgänger seinen Sack und die Mütze ergriffen und war – hast du nicht gesehen – verschwunden. Herrgott, mir blieb nun die Aufgabe, mich mit dem Gasthalter auseinanderzusetzen und das Geständnis meiner Insolvenz abzulegen. Eine schwere Sache an einem Ort, wo niemand meinen Namen kannte, geschweige denn mein Soll und Haben auf der Landesbank.
Wie oft ich mich hinter den Ohren kratzte, bis ich den Mut hatte, dem Wirte meine Zahlungsunfähigkeit einzugestehen, das weiß ich nicht mehr. Erinnerlich istmir nur noch, daß er ein sehr verwundertes Gesicht machte, da ich mich als der neue Doktor von Rockenhausen vorstellte. Ich glaube, er hatte mich für einen Zirkusdirektor gehalten. Einzig der Umstand, daß ich mich auf meinen Hausbesitzer Dietz berufen konnte, schien ihm einiges Vertrauen zu meiner Kreditwürdigkeit einzuimpfen, so zwar, daß er mich abziehen ließ, ohne meinen Rock als Pfand zurückzubehalten. Ich ging, als es schon einigermaßen zu dunkeln begann. Eine Laterne hatte ich nicht nötig, denn die Schamröte, die in meinem Gesichte stand, beleuchtete weit voraus wie eine Autolampe meinen Weg.
Sobald ich in Rockenhausen angekommen war, packte ich Briefmarken zusammen und schickte den Betrag umgehend an den goldenen Sternwirt nach Marienthal. Drei Jahre später hat mir der Menschenkenner einmal eingestanden, daß er mich für einen Zechpreller gehalten habe und den Mühlknecht für einen Mausfallenhändler. Die Briefmarken bot er mir bei der Gelegenheit zum Rückkaufe an, weil im Dorfe aufs Briefschreiben niemand eingerichtet sei.
Man wird nun wissen, wo ich hingeraten war und daß ich nicht in Arkadien wohnte. Um mir die Zeit
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