Erlebnisse eines Erdenbummlers
Nummer neun mit weißen Pinselstrichen aufgemalt war.
Ein gurgelndes Geräusch drang an mein Ohr, als ob sich in weiter Ferne einer die Zähne putzte, und ich hörte ein hohles Husten wie aus einem Grabe heraus. Waren's die Geister Abgestorbener, die sich hier in der Wiedergabe menschlicher Laute noch einmal versuchten?Ich hielt's nicht mehr aus. ›Durch die Tür oder zum Fenster hinaus‹ war meine Losung. Hat einer der Strafrichter, die in jeder Saison so ein paar hundert Jahre Gefängnis verhängen, selber einmal auch nur sechzig Minuten lang hinter verschlossenen Türen gestanden?
Eine Wut wollte mich packen. Da klopfte ich mit dem Finger an die Tür, und eine Stimme rief von innen heraus: »Eintreten!« Es war Weidigs Stimme. Er hatte vielleicht den Wärter erwartet mit dem irdenen Geschirr, darinnen seine Suppe war. Als er meiner ansichtig wurde, sagte er trocken: »Du bist's, Karrillon? Gleich will ich nach der Küche melden, daß sie eine Portion Saubohnen – aber halt einmal, ist's nicht ein Donnerstag heute? – ja, es ist einer, dann also Saubohnen heraufschicken. Du mußt nämlich wissen, daß wir hier mit unseren Mägen an die Wochentage angegliedert sind, so zwar, daß es wie beim Rübenernten keine Ausnahmen gibt. Was auf dem Felde steht, muß in den Keller. Du bist doch auf Saubohnen eingestellt mit deinen Eingeweiden?«
»Wie ein Hausknechtshinterer auf die Fußtritte.«
»Gut dann, wir speisen also zusammen. Aber was sagst du dazu, daß ich hier sitze, und der Venedey läuft lebend herum, er, dem meine Kugel zugedacht war und der sie auch reichlich verdient hatte. Glaubst du etwa noch, daß ein vernünftiger Wille die Welt regiere?«
»Du wirst doch nicht in deiner Klause hier zum Philosophen werden wollen?«
»Ich will es nicht, aber ich muß es werden, wennich bedenke, wie mir das Leben schon mitgespielt hat. Weißt du, daß meine Eltern eines Morgens tot im Bette lagen, während man mich kleinen Bengel gesund und munter aus der Wiege hob?«
»Ich hörte mal von einer Gasvergiftung so was läuten, aber sag', wer hat dich dann erzogen?«
»Ein Onkel von mir mitten unter dem Schwarzwild des Vogelsberges. Er war Förster, und von ihm hab' ich das Schießen gelernt. Siehst du dort die Wanze auf meinem Kopfkissen? Paß auf, sie lebt keine Sekunde mehr.« Er griff nach einem kleinen Taschenrevolver, zielte, und wo die Wanze gesessen hatte, war ein linsengroßes Loch im Kissenüberzug.
»Du hast deinem Onkel nicht wenig zu verdanken,« bemerkte ich.
»Auch den Umstand, daß ich heute ein bettelarmer Teufel bin.«
»Ich denke, du hattest ein bedeutendes Vermögen.«
»Als der Aneas im Plusquamperfekt sprach, hatte er Troja verloren. Um dem Staat meinen Bettel nicht in die Hände fallen zu lassen, hatte ich vor der Pistolenmensur durch eine notarielle Schenkung meinem Onkel mein Vermögen zugewiesen in der Meinung, ich würde es von ihm eines Tages zurückerhalten.«
»Und der hat den Schlechten gemacht und dich um das Deine betrogen?«
»Nicht zu vorschnell. Mit seinem Willen bin ich um keinen Pfennig gekommen. Der Tod war's, der mich beschummelte, indem er meinen Onkel hinwegraffte.«
»Wenn ich verstehen soll, wie du das meinst, so mußt du dich deutlicher ausdrücken.«
»So höre denn nur: Mein Onkel hatte sich sein Lebenlang mit einer Haushälterin beholfen. Mag sein, daß die Person ihm viel Liebes erwiesen hat. So kam's, daß er sie als die Universalerbin seines Nachlasses letztwillig schon vor Jahren bestimmt hatte.«
»Nun fallen mir die Schuppen von den Augen. Deine Schenkung war zum Vermögen des Onkels hinzugekommen und wurde der Haushälterin als Eigentum zuerkannt. Formaliter war die Sache korrekt und die Richter sagten Amen und klecksten ein Siegel unter das Protokoll.«
»Gut, du begreifst jetzt, daß ich als armer Teufel eines Tages diese Knallhütte verlasse?«
»Was heißt das: ›Armer Teufel‹. Du hast deine Arbeitskraft und deinen Doktor der Chemie.«
»Und meinen Revolver da.«
»Ich denke, du hast genug geschossen?«
»Wer kann's wissen? ›Immer bereit stehn,‹ ist meine Devise. Hast du übrigens nicht auch ein solches Schießeisen in der Tasche oder im Schreibtisch wenigstens? Du bist als Burschenschafter zur unbedingten Satisfaktion verpflichtet. Was willst du machen, wenn du gefordert wirst?«
»Ich werde mich zum Duell stellen, aber ich kann ja vorbeischießen.«
»Welcher Schütze ist sicher, daß er nicht aus Versehen einen Hasen trifft?«
»Du
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