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Erlebnisse eines Erdenbummlers

Erlebnisse eines Erdenbummlers

Titel: Erlebnisse eines Erdenbummlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Karillon
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zu vertreiben, wurde ich ein eifriger Zeitungsleser. Und da fand ich denn eines Tages eine Geschichte, die mich hoch aufmerken ließ.
    In Freiburg hatte der Studiosus W. einen anderen Studenten im Duell erschossen. W. – der Buchstabe stimmte auf den Namen meines Freundes Weidig. Sollteer es also sein, dem das Unglück zugestoßen war? Ich wollte Gewißheit haben, setzte mich hin und schrieb einen Brief. Bald hatte ich die Rückantwort in der Hand. Es war so. Weidig hatte einen Studenten namens Belgard getötet. Die Veranlassung zum Duell war von Michel Venedey ausgegangen. Dieser selber hätte eigentlich als erster mit Weidig antreten sollen. Der Umstand, daß er im Examen stand, verschaffte ihm einen kleinen Ausstand, und Belgard wurde vorgeschoben.
    Nach den Abmachungen der Kartellträger hätte Weidig neun Kugeln von drei Gegnern zu erwarten gehabt. Die alle neun abzuwarten hieß viel Geduld verlangen von einem, der nur wenig hatte. Mein erster Gedanke war, das Schicksal muß große Dinge mit dem Michel vorhaben, daß es ihn nicht vor Weidigs Pistole stellte. Wer den letzteren kannte, wußte, daß er schoß wie der beste von Ali Babas vierzig Räubern. Energisch, wie er war, und vor keiner Notwendigkeit zurückschreckend, hatte er denn auch mit dem ersten Schuß seinen ersten Gegner auf dem Kampfplatz niedergestreckt. Dann war er zur Bahn gegangen und hatte ein Billet nach Genf gelöst, wo sein Onkel Karl Vogt – der berühmte Affenvogt – einen Lehrstuhl an der Universität einnahm. Da die Schweiz wegen Zweikampfvergehen nicht ausliefert, war Weidig in Sicherheit. Er benutzte seine augenblickliche Muße und beendete in Genf seine Studien.
    Während dieser Zeit hatten viele seiner Freunde, darunter ich selber, ihm des öfteren geschrieben, er möge nicht zeitlebens dem Vaterlande fernbleiben, sondern sich der deutschen Justiz zur Verfügung stellen. Nach der Ansicht der Rechtsverständigen konnte seine Strafe keine sehr hohe werden in Anbetracht der frivolen Provokation und der Schwere der Forderung. Sechs Monate Festungshaft, damit rechnete man. Dann aber war Weidig wieder auf freiem Fuß und konnte in Deutschland machen, was er wollte.
    Nach einigem Hin und Her stellte sich Weidig dem Gerichte in Freiburg. Aber die Strafe fiel schwerer aus, als man vermutet hatte.
    Das Schwurgericht erkannte auf zwei und ein halbes Jahr Festungshaft, die der Duellant in Rastatt abzusitzen hatte. Das war lang. Aber Weidig war in den Händen der Justiz und mußte sich fügen. Um ihm Mut zuzusprechen, habe ich ihn einmal besucht. Ein Amtsrichter, bei dem ich um die Erlaubnis nachsuchen mußte, begleitete mich in liebenswürdiger Weise durch weitläufige Gänge und vernachlässigte Zimmer über zerfallende Balkone des alten Schlosses hinweg bis zu einem Flügel, in dem die Festungsgefangenen untergebracht waren. Nach langem Wandern war endlich eine Tür erreicht, die mit einem schweren Riegel versperrt war.
    Der Richter schloß auf und nötigte mich in einen schmalen Korridor hinein. Mit dem Finger deutete er an einer Flucht von Stuben hinunter, indem er sagte: »Hier auf Nummer neun haust Doktor Weidig. Ich muß Sie leider zu ihm einsperren. Wenn Sie aber wieder befreit sein wollen, dann klingeln Sie nur, und der Gefangenwärter wird Sie herauslassen.«
    Ich war allein in einem unermeßlich langen, entsetzlich schmalen und unausstehlich hohen Gang. Um sich Zellen für die Einzelgefangenen zu verschaffen, hatte man in brutaler Weise die alten Prunkräume mit kahlen Backsteinmauern durchschnitten und nur der Rokokostuck der Decken und die Halbsäulen zwischen den hohen Fenstern erinnerten an die entschwundene Herrlichkeit.
    Menschen können herunterkommen, und sie bleiben doch immer noch Menschen, wenn aber Fürstenschlösser in Verfall geraten, dann sehen sie sich selber nicht mehr ähnlich. Sie sind nur noch das Mene tekel upharsin einer verschwundenen Herrlichkeit.
    Angst und bange ist mir geworden vor dieser Flucht armseliger Pförtchen, die in der kahlen Backsteinmauer ausgespart waren und eine elende Nummer trugen, damit nicht etwa ein frisch gewaschener Hemdenkragen an einen falschen Verbrecherhals geraten konnte. Hätte es für mich noch ein Zurück gegeben, ich wäre geflohen ins Freie hinaus und den nahen Bergen entgegen, die mit ihren schwarzen Gipfeln so frei, so ungebunden nach den ziehenden Wolken haschten. Aber ich war ja eingeschlossen, abgeriegelt wie mein Freund da drinnen hinter der Brettertür, auf der die

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