Erlebnisse eines Erdenbummlers
wird.«
Er schüttelte trübselig das Haupt, und wir gingen auseinander.
Vier Tage nach diesem Ereignisse kam ich wieder zu Weinheim ins Kasino hinein. Der Bezirksamtmann, der mit einem späteren Reichskanzler im Namen eine große Ähnlichkeit hatte, ließ den Kreuzbuben unter den Tisch fallen und begrüßte mich mit den Worten: »Aber härn's doch, Alterchen, was haben's denn in Hamburg nur angestellt gehatt? Z'wegen Ihna hab i ja en geschlagenen Tag am Telegraphendraht dranhängen müssen.«
In großer Offenherzigkeit gestand ich ein, daß ich in Hamburg einige Bankhäuser ausgeraubt und das Geld mitgebracht hätte. Ich wolle es verwenden, den Neckar bei Heidelberg abzugraben und ihn zur Verschönerung des Landschaftsbildes wieder die Bergstraße entlang laufen lassen. Mit den Rothschilds sei bereits Rücksprache genommen. Sie hätten nichts dagegen, daß der Fluß bei Frankfurt in den Main fließe.
Ob alle meine Zuhörer die Rede für ernst genommen, weiß ich nicht. Mir ist nur aufgefallen, daß einige mich fürderhin mit scheuen Blicken grüßten, so, als ob sie dächten: ›Ja, etwas muß er doch in Hamburg angestellt haben. Umsonst wird doch der amtliche Telegraph nicht in Bewegung gesetzt.‹
Weiter in der Tretmühle des Lebens
ald war ich in den alten Geschäftsgang wieder eingewohnt, schrieb Rezepte, Krankenscheine, Geburts- und Todeszeugnisse. Eines der letztern auch für einen Mann, den ich zu meinen Freunden rechnete. Der dicke Herr wog so nahezu an drei Zentner und konnte mit einem solchen Gewichte die drei Gemeinden Gorxheim, Flockenbach und Kunzebach würdig vertreten, bis er eines Tages beim Kopfwaschen vorm Brunnentrog zusammengebrochen war. Bewußtlos hatte man ihn ins Haus getragen. Durch seine nächsten Angehörigen wurde nach mir geschickt, und ich war am Sterbebett erschienen, gerade noch rechtzeitig genug, um dem Toten die Augen zudrücken zu können. Natürlich sollten nun doch die Leute im Wochenblättchen lesen, daß es in der Welt einen Bürgermeister weniger gäbe und auch ein wie vortrefflicher Mensch der Verschiedene gewesen sei. Ein Sohn des Toten hatte sich, da das Schriftstellern keine leichte Sache ist, mit der Frage an mich gewendet, ob ich nicht während der Heimfahrt bei der Zeitungsredaktion vorfahren und die Annonce aufsetzen wolle. Ich sagte ja und bestieg meinen Wagen. Neben mich ins Chaischen drängte sich der Enkel des Toten, ein grobknochiger Bengel von etwa sechzehn Jahren. Er grüßte nicht, er sprach nichts, er saß nur da und lachte vergnügt, weil an ihn einmal dieReihe gekommen war, weich zu sitzen und Chais zu fahren. Da ich ihn in seiner Beschaulichkeit nicht stören wollte, so sagte ich auch nichts und machte mich darüber her, die Todesanzeige zu entwerfen. Aber halt, da fehlte mir gleich von vornherein etwas. Es hat Gott gefallen, unseren lieben Großvater, Vater, Onkel usw., den Großherzoglichen Bürgermeister – da halt zum Teufel, der Vornamen fehlte. Aber da konnte doch sicher der trauernde Enkel mit seinen Kenntnissen aushelfen, der grinsend neben mir saß und sich mit leisem Pfeifen die Zeit vertrieb. »Adam,« so fuhr ich den Träumer an, »wie hat doch dein Großvater geheißen?«
»Philipp,« war die kurze, aber erschöpfende Antwort, mit der mir vorläufig geholfen war. Ich komponierte also weiter: Philipp Schmidt im Alter von?? Da eine neue Schwierigkeit, die sich ohne Standesregister nicht lösen ließ. Aber wo dieses hernehmen, ohne den Gaul zu drehen und zurückzufahren. Doch vielleicht konnte da abermals der Enkel Rechenschaft geben.
»Adam,« so lautete die neue Frage, »weißt du, wann dein Großvater geboren wurde?«
»Nein, dös war vor meiner Zeit.«
›Du hättest anders fragen sollen,‹ sagte ich mir und ich fing nochmals an: »Wie alt war doch dein Großvater, jetzt, wo er eben gestorben ist?«
Adam steckte den linken Daumen in den Mund zum Zeichen, daß er sich besinnen wolle. Als er ihn wieder herausholte, stürzte hinter ihm die Antwort her: »Der kann alt gewesen sein, so an achtzehn – neunzehn Jahren.«Nun könnt' ich mir nicht länger helfen. Ich mußte lachen, daß mir der Hosenbund zu eng wurde, und das Patenkind des ersten Menschen lachte mit. So waren wir vor dem Zeitungsverlag angekommen, wo ich das Wundertier eines sechzehnjährigen Enkels von einem achtzehnjährigen Großvater der Redaktion zur gefälligen Weiterverhandlung überließ.
Durch den Tod des Bürgermeisters Philipp Schmidt war der Lauf der Zeiten
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