Erlebnisse eines Erdenbummlers
nicht unterbrochen. Dem Verewigten folgte im Amt sein Sohn nach, der genau wie der Vater hieß und dem von den drei Zentnern Schlachtgewicht, die sein Vater hatte, höchstens zehn Pfund fehlten. Also war alles wieder in Ordnung. Die Gemeinde hatte ihr Oberhaupt und ich einen wohlwollenden Protektor, von dem man alles verlangen konnte, nur kein Geld. Bald sollte ich in die Lage kommen, seine Güte in Anspruch nehmen zu müssen.
Es war eine bitterkalte Winternacht und vor meinem Schlafzimmer hatte die Nachtglocke geschrien. Ich zog den Fenstervorhang zurück und sah auf die nackten Steine des Pflasters hinunter. Da hielt ein armseliges Fuhrwerk im fahlen Lichte des Halbmondes und eine Stimme rief zu mir herauf: »Ich bin's, der Forstwart von Steineklingen. Sei's wie's will! Ich hab' ein Fuhrwerk mitgebracht. Sie müssen heraus und mit mir fort.«
Ich zog mich an und kam reisefertig auf die Straße. Hölle und Fegefeuer, welchem Fuhrwerk stand ich da mal wieder gegenüber! Da war zunächst ein Wagen, an dem außer der Deichsel nichts heil war. Die Radkränzewaren mit Stricken gebunden und die Leitern schienen aus den Resten alter Kinderwiegen zusammengesetzt zu sein. Ach, und nun gar der Gaul, der vor dieses Fuhrwerk geknotet war! Das reine Pferdeskelett, und selbst das nicht einheitlich, sondern aus der Knochensammlung einer Tierarzneischule zusammengestohlen. »Von welchem Schinderwasen, Förster,« rief ich aus, »haben Sie diesen Lazarus geholt?« und schlug die Hände über dem Kopf zusammen.
»Den laß ich mir nicht schlecht machen,« sagte der Waldmensch beleidigt. »Er hat den Weg von Steineklingen nach Weinheim gefunden, und er findet ihn auch wieder zurück. Im Übrigen stammt er von den Leutershäuser Judden und hat mich fünfundsiebzig Mark gekostet.«
Bei Tag hätte ich mich unter keinen Umständen auf das Fuhrwerk gesetzt – aus Furcht vor der Ärztekammer und ihrem Standesdünkel. In der Nacht aber, da mocht' es einmal hingehen, da ich bei meiner Fahrt außer dem verschwiegenen Mond keinen anderen Zuschauer wußte. Ich stieg also auf, und es ging los und zwar mit einem Spektakel, den ich dem Vehikel gar nicht zugetraut hätte. Alle vier Eisen des Pferdes hingen lose und besorgten die Schellenbaummusik zu den Fagottönen, die sich unter den Achsen hervordrängten. Ohne Peitsche wären wir der ruhende Punkt gewesen, den Archimedes suchte, und mit ihr kamen wir auch nicht anders als im Schneckentempo voran. Aber immerhin, im Lauf von einer halben Stunde hatten wir die letzte von des Städtleins achtzigWirtschaften erreicht. Eben wollte ich den Strohsack unter meinem Sitzfleisch etwas aufschütteln, als ich aus dem Wagen fiel und über die Straße rollte. Was war geschehen? Eines der beiden Hinterräder hatte sich selbständig gemacht und lief auf eigne Rechnung und Gefahr dem Gastwirt Bienhaus in die offene Torfahrt hinein. Ein Hund fing an zu bellen, und es dauerte noch keine zwei Minuten, so stand der freundliche Wirt auf der Straße und half uns, das Rad wieder über die Achse zu schieben. Da der eiserne Bolzen verloren gegangen war, so behalfen wir uns mit einem hölzernen, den der erfindungsreiche Herr Bienhaus aus einem Besenstiel gebrochen hatte. »Glückliche Reise!« rief uns der gute Mann noch nach und wir setzten unseren Weg ins Tal hinein fort.
Ein Hahn krähte, als wir nach Gorxheim kamen und dem Hause des neuen Bürgermeisters gerade gegenüber waren. Was fiel nur da dem Roß auf einmal ein? Schneller, als es ihm ein Mensch je zugetraut hätte, machte es nach rechts hin Kehrt und zog das Fuhrwerk einer Notbrücke zu, die über den Bach hinüber in des Bürgermeisters Hof führte. Da die Brücke keine Rampe hatte, so waren nur die Vorderräder so glücklich, auf den Holzdielen zu bleiben. Die hinteren glitten ab und ich fiel zum zweiten Male aus dem Wagen heraus und ins kalte Wasser des seichten Baches hinein. Diesmal brauchte ich keinen Hund, um die Nachbarschaft zu wecken. Ich fing aus Leibeskräften zu fluchen an und trieb damit den neuen Ortsgewaltigen aus den Federn heraus. Baldstand er mit der Laterne im Hof und leuchtete dem Pferd ins Gesicht hinein. Während ich den Versuch machte, aus dem Wasser zu krabbeln, hörte ich auf einmal, wie der dicke Herr verwundert sagte: »Ei, da wärst du ja glücklich wieder! Sag', wie kommst du, altes Schindluder, zum zweitenmal ins Tal herein? Forstwart, wer hat Euch den Gäulsknochen aufgehängt, nachdem wir ihn an die Mannheimer Pferdemetzger
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