Erlebnisse eines Erdenbummlers
daß es sich hier, wo man außer Bergen nichts anderes sah, um die Bergkrankheit handeln könne. Wir nahmen nun die Kranke zwischen uns und rutschten mit ihr auf den Kehrseiten den Abhang wieder hinunter. Da diese Talfahrt trotz der traurigen Ursache stellenweise etwas Lustiges hatte, so erlaubten ich und die Base uns, ab und zu ein wenig zu lachen. Das nahm meine Frau uns übel, und sie schmollte derart mit uns beiden, daß sie uns kein Wort gönnte, als wir am Hospiz angekommen waren. Wir hatten dagegen nichts einzuwenden und grämten uns darüber auch nicht zu Tode, daß dieGattin sich an den Tisch zu den Knechten der Anstalt setzte und folgende geistreiche Unterhaltung mit den grobschrötigen Männern begann:
»Leben Sie das ganze Jahr hier oben?«
»Cha.«
»Auch im Winter?«
»Cha.«
»Was essen Sie denn da?«
»Cha, was wir han.«
»Auch Eier?«
»Cha.«
»Habt ihr denn auch Hühner hier?«
»Cha.«
»Legen die gegen's Frühjahr zu auch Eier?«
»Naan.«
»Warum legen sie keine Eier?«
»Cha, mir fraßet se zuvor.«
Hier fielen nun die Base und ich mit einem homerischen Gelächter in die phäakenhafte Unterhaltung herein, und als wir ausgelacht hatten, holte ich Feder und Tinte herbei. In mir war nämlich der in meinem Unterbewußtsein seither bescheiden schlummernde Schriftsteller plötzlich wach geworden und zwang mich, den Ausflug nach dem Monte Prosa – so hieß der Gipfel, den wir erklettert hatten – in einem Feuilleton zu verewigen. Bevor ich das Manuskript in einem Kuvert verstaute, unterstrich ich einmal das »P« im Worte »Prosa«, weil mich wie einen Hellseher der Gedanke an ein drohendes Unheil erfaßt hatte. Dann warf ich den Brief in einenKasten, der im Hausgang aufgehängt war, und hoffte, daß er seinen Weg nach der von mir gemeinten Redaktion finden werde.
Indessen war der Abendtisch gedeckt, und unsere Gesellschaft vermehrte sich um einen französischen Abbé und eine Dame, mit der dieser wahrscheinlich verwandt war wie Dortchen Lakenreißer mit Fallstaff, denn sie hatte Simpelfransen in die Stirne hängen und zwischen den Brustansätzen einen nackten Amor, der auf Porzellan gemalt war. Sie lachte viel und nahm es durchaus nicht ungnädig, als ich mit ihr ein wenig zu schäkern anfing. Den harmlosen Flirt sollte ich bald bereuen. Es setzte sich nämlich eine schönere an meine Seite. Frau Lombardi war's, die Besitzerin des Hauses, eine ausnehmend blühende Dame, so daß ich »wie der Esel, zwischen zwei Bündeln Heu« saß, »ohne zu wissen, wo das bessere Futter sei«.
Im übrigen wurde es noch recht lustig an jenem Abend. Der Abbé spielte heitere Weisen auf dem Klavier, und Frau Lombardi sang dazu mit einer volltönenden, glockenreinen Stimme.
Als wir uns am nächsten Morgen von der bildschönen Nachtigall trennten, sagten wir: »Auf Wiedersehn!«
Daraus ist nichts geworden. Im folgenden Frühjahr bereits löste sich oberhalb von Airolo ein Felsbrocken los und begrub die frohe Sängerin samt ihrem Sommerhause am Südabhang des Gotthards. Ein Glück für uns drei, daß wir nicht wußten, was die nahe Zukunftbrachte, sonst wären wir wohl nicht so fröhlich durch die grause Schlucht hinuntergetänzelt, die der junge Tessin sich hier aus dem Urgestein des Bergriesen Gotthard herausgemeißelt hat.
Als wir so an zwei Stunden gelaufen sein mochten, war die Schlucht zu Ende. Das Tal bot schöne Wiesengründe, den gelbgrünen Schimmer von Kastanienbäumen, mit einem Worte, die Welt zeigte, an unseren Erfahrungen gemessen, einen veränderten Charakter, zumal da uns zuweilen auch noch ein Mauleselfuhrwerk begegnete oder ein Dudelsackpfeifer. Wie ich so auf der guten Landstraße gegen Faido hin rüstig ausschreite und mit Interesse die veränderte Form der Kirchtürme betrachte, merke ich, daß die Base sich hilfsbedürftig an mich drängt und mich ungeachtet der Nähe meiner Frau unterm Arme faßt. Ich guckte fragend an der kleinen Gestalt herunter, und wie ihr blaues Auge mir forschend entgegenleuchtete, fragte ich so obenhin: »Du frierst doch nicht, Base?«
»Nein,« gab sie zur Antwort, »aber ich fürchte mich, denn sie müssen doch jetzt bald kommen.«
»Wer denn?«
»Eben die Fra Diavolos , die Abruzzenräuber, die man so auf den Theatern steht.«
Ich lachte nicht über diese dämliche Bemerkung, denn ich erinnerte mich meiner eigenen Torheit, die vor wenig Jahren noch in Kopenhagen die Renntiere suchte.
Indessen schritten wir rüstig voran und erreichten in Faido
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