Erlebnisse eines Erdenbummlers
einen Schnellzug, der uns rasch nach Bellinzona brachte, wo wir übernachteten.
Am anderen Tage ging's gegen Locarno zu, die vielbetretene Straße und von da weiter nach Luino, Pallanza, Arona usw. usw.
Wie wir so in letzterer Stadt im Schatten des heiligen Karl von Borromeo standen, meinte meine Frau, den Blick rückwärts über den See gerichtet, die Welt sei doch weltläufiger, als sie gedacht, und die Base sagte. »Was fangen wir nur an, Onkel, wenn es Regen geben sollte, da wir keine Schirme mit uns haben?«
Kurzum ich merkte, daß beide schon etwas reisemüde waren, und daß sie am liebsten heimgefahren wären. Diesem Drange gegenüber fing ich an, zu bramarbasieren: »Mailand zum mindesten müßten wir bestimmt erreichen. – Mailand in der Lombardei« betonte ich. »Wer seinen Dom nicht gesehen und das berühmte Abendmahl von Leonardo da Vinci, der rechne nicht zu den gebildeten Menschen.« Daß ich außer den beiden Sehenswürdigkeiten in Milano noch eine dritte erwartete, nämlich von der Zeitungsredaktion das Geld für meinen allerersten literarischen Versuch, das verschwieg ich, hoffte aber bestimmt auf dies Wunder, denn ich hatte vorsichtshalber bei Einsendung des Manuskriptes meine Mailänder Adresse angegeben.
Wir fuhren also nach Milano hin. Als meine Frau die enge Gasse sah, in der das Hotel »Schweizerhof« lag, wollte sie nicht mehr mit und nannte mich eigensinnig, als ich auf der Einkehr in diesem Gasthof und keinem anderen bestand. Mit Ach und Krach behielt ich Recht, und was fand ich vor beim Hotelportier? EinenBrief von der Zeitungsredaktion mit der Einlage von einem Zwanzigmarkschein.
Beim Anblick meines ersten mit der Feder verdienten Geldes verlor der Mailänder Dom, das Amphitheater, ja die Brera für mich jede Bedeutung. Nicht um alle Welt hätte ich den Zettel aus der Hand gegeben. Ich beschloß, ihn aufzuheben, einzurahmen und den spätesten Enkeln zu vermachen, damit sie sich überzeugen könnten, von welch' bedeutendem Urgroßvater sie abstammten. – Im Überschwang meiner Gefühle baute ich eine Phantasievilla, für deren Portal ich folgendes verwegene Epigramm dichtete:
Manch einer, dem dies Haus gefällt,
Denkt: Woher hat er nur das Geld?
Und lacht verschmitzt. So wißt denn, daß
Es floß aus meinem Tintenfaß.
Von jetzt ab teilte ich das Heimweh meiner Frau und der Base. Wir sahen uns zwar den Dom noch an, die Brera und auch den Kirchhof. Dann aber machten wir, daß wir nordwärts und wieder nach Deutschland kamen. Die Base meinte, als wir überm Rhein waren, sie hätte immer an Konradin von Schwaben denken müssen, und sie sei froh, daß sie ihren Kopf noch habe. Da meine Frau sich freute, daß sie ihr geschmuggeltes Foulardtuch noch hatte und ich meinen Zwanzigmarkschein, so waren wir alle drei seelenvergnügt, als wir uns der Musenstadt im engen Neckartale wieder näherten. Die Base ließen wir hier zurück, und nur noch zwei Personen stark lief die Reisegesellschaft imBahnhof zu Weinheim ein. Hier wunderte ich mich einigermaßen, daß nicht an der Spitze des Magistrats der Bürgermeister mit den Insignien seiner Würde zu meinem Empfang am Bahnhof stand. Wie kam das nur? Hatte ich geheime Neider? Man mußte doch in Deutschland meinen Artikel gelesen haben, und nun in Weinheim gar, wo zum Interesse am Inhalt noch das am berühmten Verfasser hinzukam. Nein, dieses Ignorieren hatte etwas Beleidigendes. »Florentiner, Florentiner, was kann euren Sinn verkehren«, deklamierte ich vor mich hin, ging aber an der Seite meiner reisemüden Gattin heim. Merkwürdig, daß ich selbst beim Anblick meiner Kinder nicht zur Ruhe kam. Nein, ich konnte nicht zu Bette gehen, bevor ich wußte, was die Stadt über mein literarisches Opus dachte. Ich ging also los, womöglich um die Gesellschaft der Rundbrenner aufzufinden. Ich traf sie in dem Hotel »Zu den vier Jahreszeiten«. Bei meinem Eintritt in die Nebenstube entstand eine große, allgemeine Heiterkeit, von der sich auch Liese, die Kellnerin, bei der ich doch einen Stein im Brett hatte, nicht ausschloß. Hinterm Tisch aber erhob sich vorschriftsmäßig der Oberamtmann wieder zu folgender Rede: »Schade, daß Sie nicht vor zehn Minuten gekommen sind. Eben ist der Lehrer Weyermann weggegangen. Er hatte Ihren Artikel mitgebracht und eine Landkarte von der Westschweiz. Er meinte, daß Sie den Ausflug vom St. Gotthard nach dem Monte Rosa in einem Nachmittag gemacht hätten, sei mehr, als Jules Verne oder Münchhausen ihren Lesern zu
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