Erlebnisse eines Erdenbummlers
einmal über den Kanal gefahren im Wintersturm. Da haben die Ratten mit ihrem Mageninhalt die Fische gefüttert. O, du hättest die Möwen sehen sollen, wie die sich mästeten im Flug. Alles war marode, sogar der Kapitän. Nur ich, ich allein behielt, was ich bei mir hatte, es waren« – – –
»Nun kommt das dicke Ende,« dacht ich mir, und um dies abzuwenden, stellte ich mich krank und fing äußerst naturgetreu an zu wurgsen. Diesem Gesang widerstanden die Kommerzienratsohren nicht. Ihr Inhaber floh, und ich war allein in der Kammer. Ich genoß nun ungestört die ungeheuere Wonne eines Sonntagkonzertes zwischen dem Azurblau der See und der gleichen Farbe des Himmels. Wie mir heute noch, so viele Jahre nach dem Begebnis, das Herz weit wird in Gedanken an jene Stunde!
In den folgenden Tagen trug uns das Schiff ruhig über die Meerflut. Nur ab und zu einmal war ein Streifen Land zu sehen. Die Insel Ouessant, das Kap Finisterre, die Steilküste von Portugal. Um das Kloster Sao Vincente herumbiegend kamen wir über Kadix südwärts in die Straße von Gibraltar hinein. Rechts die Säulen des Herkules, zur Linken die Berge Granadas steuerten wir den Pityusen und Balearen entgegen.
Bis hierher war die Reiseausstattung meines Freundes ausreichend gewesen. Nun aber wurde die Sache kritisch. Durch niederfallende Zigarrenglut war in die Sonntagshosen ein Loch gekommen, so groß wie die Tonsur eines Priesters. Da ein steifer Nord die Beinkleider zu Säcken aufblies, so war wie durch das Flugloch eines Starenkastens mancherlei zu sehen, was angehenden Komtessen verborgen bleiben sollte. Da mußte nun Rat geschafft werden und zwar unter allen Umständen. Ich trug die älteren kriegsinvaliden Hosen zum Segelflicker und sie wurden, wenn auch nicht wasserdicht, so doch undurchscheinbar und verwendungsfähig. Ohne ein öffentliches Ärgernis zu erregen, durften wir zu Genua den Boden des keuschen Italiens betreten.
Wie wir vom Wasser nach der oberen Stadt aufsteigend den »schwarzen Adler« suchten, machte mir mein Begleiter klar, daß wir einen Hosenschneider nötiger hätten, als das geschnäbelte Federvieh. Ich tat ihm den Gefallen und trat mit ihm in einen Laden, dessen Schaufenster außer mit einer Hose noch mit einem Rosenkranz von Knoblauchzehen, Salamiwürsten und Zigarrenkisten ausstaffiert war. Ein rothaariger Amalekiter trat aus dem schwarzen Hintergrund, und wir belehrten ihn durch eine Pantomine über den Zweck unseres Kommens. Gleich darauf türmte sich ein ganzes Gebirge von Hosen vor uns auf. Mein Genosse prüfte, beguckte, streckte und verkürzte die dargebotene Ware, feilschte, stritt mit dem Händler und warf zuletzt siegesbewußt ein Paket von grauem Katzenpapier umhüllt in seine linkeAchselhöhle. Der Handel war gemacht, und wir gingen aus dem Laden. Bald war der » Aquila nera « entdeckt und ein Zimmer ausgewählt. Im blendenden Mittagsscheine wurden die Hosen mit Feierlichkeit enthüllt und übers Bett geworfen. Wer Augen hat zum Sehen, der sehe. Sie waren heliotropfarben, mit gelben Karos übermalt wie ein Dambrett. Ich konnte nichts anders tun, als nur so weit wie möglich die Lider auseinanderreißen.
»Gefallen sie dir nicht?« fragte mein Kommerzienrat. »Doch,« entgegnete ich, »aber ziehe sie einmal an, damit ich sehe, ob sie dir passen.«
Sie paßten ihm. Sie hätten jedem gepaßt, sogar dem dummen August in einem Wanderzirkus. Und doch hatten sie einen großen Fehler. Am Hosenbund, da waren keine Knöpfe. Verflucht auch, wir hatten mit der Landessitte des Gürteltragens nicht gerechnet. Was nun?
Der alte Handwerksbursche fand Rat. Er rannte nach der Tür und klingelte das Stubenmädchen herbei. Sie hieß Rosa und hätte nicht anders heißen dürfen, denn sie war die Königin aller Blumen und aller Mädchen auch. Nie vorher habe ich eine so vollendete Schönheit gesehen und mit einem Male begriff ich, warum Italien der Mutterboden eines Raffael, Tizian und anderer Maler werden konnte. Ja, man hat leicht malen, wenn man nur zu schellen braucht, um solche Modelle vors Auge zu bekommen, wie da eines auf den Knieen vor dem Sanskulotten herumrutschte und Knöpfe annähte.
Was wir zu unserer Freude im Hotel noch vorfanden, war einer unserer Weinheimer Bekannten. DieKrankheit seiner Frau oder das, was darnach aussah, hatte ihn wohl um die Seereise gebracht, die Landreise aber ließ der Wackere sich nicht nehmen. Er war durch den Gotthard gefahren und hatte uns in Genua erwartet. Als der dritte
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