Erlebnisse eines Erdenbummlers
wettergebräunten Gesichte, der kupfernen Nase und der weißen Seemannsmütze, nun wen denn? Meinen ersten Patienten, den Michel Venedey.
»Freundchen, wie siehst du abgezehrt aus?« sagte er. »Wer dich am Karfreitag ißt, hat trotzdem keine Todsünde begangen, denn Fleisch ist wahrhaftig kein's an dir. Verschreibst du immer noch den Leuten Bruchbänder? Nun, dann kann ich mir wohl erklären, daß sie vor dir Reißaus nehmen und dich so nach und nach verhungern lassen.«
»Ach, Michel,« erwiderte ich, »du solltest dich vor einem Bruchband nicht mehr fürchten. Wer dir eins anmessen wollte, brauchte die Stangen eines Klafterschlägers. Mensch, wie bist du nur zu so viel Fett gekommen? Laß nach oder die Speckmäuse gehen an dich.«
»Nachlassen,« wiederholte er. »Guck, das sagst du so in deinem Unverstand und bedenkst nicht, daß die Sorgen einen aufschwemmen, daß man wird wie eine Wasserleiche. Was glaubst du nur, was ich nicht allesdurchgemacht einzig nur, bis meine Mutter von mir erzogen war.«
»Gott verzeihe allen Menschen, die sich irren, Michel, aber ich war der Ansicht, deine Mutter hätte viel ausgestanden, bis sie dich so leidlich zurechtgestutzt hatte.«
»Wie man's nimmt. Alles ist relativ. Aber stelle dir einmal vor, die alte Frau wollte noch einmal heiraten, und den Gedanken mußt ich ihr wie einen Champagnerpfropfen aus dem Kopfe ziehen. Ein wahres Glück, daß ich in dem Geschäft einige Übung habe. Und des ferneren weißt du am Ende noch gar nicht, daß Herr Runkele, weiland mein Schwiegervater, gestorben ist.«
»Herr Runkele, der dich etwas knapp im Gelde hielt?«
»Eben der, und nun hab' ich doch seinen Nachlaß zu verwalten bis zu meiner Tochter Volljährigkeit.«
»Die hoffentlich nicht ferne ist, wenn du Schwiegervater werden willst.«
»Was du für Gedanken hegst! Ich fahre nicht mehr und lebe als Biedermann in Freiburg. Du glaubst doch nicht, daß ich mit dem Erbe meines Kindes in den Tag hineinhause?«
»Nein, Freundchen, aber in die Nacht. Sag' an, wie vielmal schlägt vom Martinsturm die Uhr, wenn du aus dem Portal der Weinstube gehst?«
»Soll ich dir zu Gefallen mein Gewissen erforschen? Kannst du mich absolvieren, wenn ich gesündigt habe? Sag' lieber, daß du einen Wagen in der Nähe hast, der mich nach deiner Wohnung bringt.«
»Du wirst laufen müssen. Mein Pferd ist mir eingegangen.«
»An Überfütterung sicher,« bemerkte er boshaft und humpelte dann schicksalsergeben neben mir her.
Er blieb einige Tage bei mir, und von ihm erfuhr ich vieles über das Ergehen alter Jugendfreunde. Dieses Amerika war seit seiner Entdeckung stets ein Hafen für gescheiterte Lebensschiffe. Venedey sah auf seiner »Lahn« gar manchen, der unserer alten Welt verdrossen den Rücken zukehrte, und er stand ihnen bei mit seinem Rat. Wenn er gar nicht wußte, wohin mit einem, so schickte er ihn nach Newark zum Weidig. So war's vielleicht doch des Schicksals Wille gewesen, daß die beiden Kampfhähne sich nicht mit den Pistolen in der Hand auf dem Freiburger Exerzierplatz gegenübertraten. Ist alles Leben nur ein Zufall, oder steht hinter den Kulissen doch einer, der die Menschenpuppen nach seinen Plänen tanzen läßt?
Ehe der Michel von mir ging, mußte ich ihn einmal am Benderschen Institut vorüberführen, und ich meine, er hätte zu mir gesagt: »Du, da drinnen habe ich viele Prügel gekriegt und doch am Ende nicht genug. Was meinst du dazu?«
Diese Frage werde ich wohl nicht beantwortet haben. Sie ist nicht mit einem Ja oder Nein zu lösen. Jeder ist sich selber Richter am Schluß seiner Tage, und die unseres Freundes waren abgezählt. Er starb kurz darnach rasch und schmerzlos in Freiburg.
Als Venedey weg war, zog ich wieder mit denRundbrennern auf der feuchten Wirtshausstraße. Die Zahl der Zechkumpane hatte sich um eine Nummer verringert. Der Gerber Schmitz war gestorben. Auf seinem Todesbette hatte er noch mit westfälischer Zunge gesagt: »Wenn ich in die Binsen jejangen sein werde, jrabt unterm Lohhaufen. Ihr werdet eine Sohlhaut finden. Kann sich ein jeder von sie seine Stiefel von sticken lassen, a's en Andenken an mir.«
Wir haben den biederen Westfälinger in der pfälzer Erde verscharrt und haben seiner an der Tafelrunde gedacht.
Von Wirtshaus zu Wirtshaus gezogen sind wir nicht mehr. Diese und jene Kneipe hatte ihren Besitzer gewechselt, eine andere hatte ihr Renommee verloren. So drängten wir uns in den »Jahreszeiten« zusammen, erzählten uns was und rauchten die
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