Erlebnisse eines Erdenbummlers
mir sehr wertvoll. Können Sie mir nicht noch andere Dinge nennen, die man nur in Paris findet und sonst nirgends?«
»Gewiß, wenn Sie einmal sehen wollen, wie man mit Eleganz betteln geht, dann verfügen Sie sich an einem Sonntag in die Kirche von St. Eustache. Sie werden sich wundern, wenn Sie sehen, daß da den Andächtigen nicht etwa in rücksichtsloser Weise ein Klingelbeutel unter die Nase geschoben wird, sondern daß der schönste Mann eines ganzen Domkapitels in veilchenblauer Sutane an den Kopf der Bänke tritt und neben sich einen Diener hat, der eine schwere Silberplatte die Reihe der Beter hinunter wandern läßt. O, Sie sollten das Klingeln hören, mit dem die Goldstücke auf die spiegelblanke Platte fallen, und den verliebten Blick sehen,mit dem der würdige Kirchenfürst den schönen Spenderinnen zu quittieren weiß. Dieser Blick, er ist nicht nur eine vollendete Liebeserklärung, sondern bedeutend mehr. Er ist ein Ego absolvo te ab omnibus peccatis tuis , der reine Himmelsschlüssel sogar. Laßt uns die französischen Geistlichen loben. Ich glaube, Sie verstehen es, das Bußsakrament zu einer Art von Vergnügen umzugestalten. Wenn ich eine Prinzessin wäre, kein anderer als ein französischer Abbé dürfte mein Beichtvater sein. Ich glaube fast, sie sind die Nährväter der reizvollsten von allen Sünden. Wie auf dem Moos die Pilze, so gedeiht in ihrer Nähe die verliebte Torheit.
Wenn Sie an einem Werktag sich einmal im Schatten von St. Eustache umsehen wollen, werden Sie die Mauern der Kirche umlagert finden von Magdalenen. Alle jene, aus denen das Alter sieben und mehr Dämonen ausgetrieben hat, gelangen, zu Fischweibern umgestaltet, hier beim Patron der Jäger an, dem einst das Heil der Welt zwischen den Hörnern eines Hirsches erschienen ist. Aber was schwatze ich Ihnen da vor, Herr Pfarrer, Sie werden keine Lust haben, dem Laster nachzugehen, auf seinem Wege aus dem Spiegelglanz der Maximsäle bis zum Fischmarkt vor der Eustachiuskirche.«
»Man sollte wohl schöne Gesichter in diesen Hallen machen, wenn einer mit der Tonsur auf dem Wirbel sich dort blicken ließe. Aber wissen Sie, was ich mir ansehen möchte: Den Pere Lachaise. Ein sonderbarer Name übrigens für einen Kirchhof: Vater Lachaise.Können Sie mir über die Geschichte dieses Namens Auskunft geben?‹
»Sie ist einfach genug. Der Jesuit Lachaise war der Beichtvater Ludwigs des Vierzehnten und bekam von seinem König ein Landhaus mit einem Park geschenkt. Dieser Park ist im Jahre 1804 zu einem Kirchhof eingerichtet worden und seine Mauern umschließen heute ein Kunstwerk, das mein Interesse mehr in Anspruch nahm, als die ganze Weltausstellung. Ich meine jenes ergreifende Monument des Bartholomé, das dieser Künstler den Toten gewidmet hat. Gewiß, Herr Pfarrer, dies Denkmal müssen Sie gesehen haben. Der Eiffelturm wird sich Ihnen von selber aufdrängen. Die Kunst aber laßt sich in Paris, wie überall in der Welt, suchen. Sie braucht Stille um sich her und flieht den lauten Markt der menschlichen Eitelkeiten. Sie werden übrigens doch noch nicht abreisen wollen, mein Bester?«
»Doch, doch, morgen muß es sein. Ich darf die Zeit meiner Ferien nicht allzu nutzlos vertrödeln.«
Er ging, und ich habe den lieben Palästinapilger vom Jahre 1896 nicht wiedergesehen, wohl aber ein kleines Buch von ihm, das »Dornen und Disteln« überschrieben, seine Erlebnisse aus jenen Reisetagen wiedergibt.
Während ich die Absicht hatte, meine »Kreuzfahrt« zu verteidigen, merke ich nun, daß im Handumdrehen aus der Apologie eine Beschreibung von Paris und seiner Weltausstellung herausgewachsen ist. Nun, was einmal dasteht, braucht nicht mehr niedergeschrieben zu werden. Der Leser weiß jetzt, daß ich in Seinebabelwar, und ich hoffe, daß er mir deshalb nicht grollen wird. Meine Weinheimer Mitbürger taten es auch nicht. In ihrer überwiegenden Mehrheit haßten sie Frankreich nicht, so wenig wie ich selber, und sie machten mich zur damaligen Zeit zum Vorstand der Schützengesellschaft, obwohl ich das Evangelium predigte, daß Deutschland mit Frankreich Arm in Arm für Europa den Beginn des goldenen Zeitalters zu bedeuten habe. Den derzeitigen Schützenbrüdern war es übrigens mit dem Losbrennen auf zweibeinige Feinde, von Enten abgesehen, überhaupt nicht ernst. Sie renommierten nur gerne ein wenig mit dem Stutzen auf der Schulter, der Feder am Hut und dem grünen Kragen am Rock.
Unser Hauptkünstler vor den Scheiben war zweifelsohne ein
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