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Erlebnisse eines Erdenbummlers

Erlebnisse eines Erdenbummlers

Titel: Erlebnisse eines Erdenbummlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Karillon
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Zahnarzt namens Lehmer. Mit unfehlbarer Sicherheit traf der eingefleischte Altbayer ins Schwarze, d. h. wenn er's nicht grad »Verwackelte«. Aber leider kam er von Tag zu Tag mehr ins »verwackeln« hinein. Ein heimtückisches Leberleiden zehrte seine Kräfte auf. Einen halben Winter lang stand er noch am Fenster seines Zimmers und zählte durch die Scheiben die Raben, die an den Abenden von der Rheinebene nach ihren Nachtquartieren im Odenwalde flogen. So lang es ging, fuhr er ihrem Fluge mit dem Zimmerstutzen nach. Aber es ging nicht lange mehr, denn ihn selber hatte der Schütze Tod aufs Korn genommen. Er wurde bettlägerig und hing mit der Welt nur noch durch die paar Menschen zusammen, die an sein Krankenlager kamen, und mich, der ich sein Arzt war. Die besteMedizin, die ich ihm bieten konnte, war die, daß ich seine Gedanken ablenkte von seinen Leiden, indem ich von vergangenen besseren Zeiten sprach. Wenn ich die Namen Magenta oder Königgrätz nannte, glühte er auf in heiliger Begeisterung, nicht minder aber, wenn die Worte Tucherbräu oder Hacker fielen. Ich hatte also eine reiche materia medica zur Verfügung, die ich den Umständen entsprechend verschreiben und verteilen konnte. Der Abwechslung halber kam ich einmal auf die Idee, das Rauchbier zu loben, einen Absud, in dem die Wacholderbeere eine Rolle spielt. Er hörte mir eine Zeitlang zu, ohne Ja oder Nein zu sagen. Plötzlich aber konnte er mit seiner Ansicht nicht mehr zurückhalten und, wie Funken aus dem Span springen, so knisterte es aus ihm heraus: »Sie, Doktor, haben's a schon mal n' G'frorn's trunken?«
    »E G'frorn's, Herr Lehmer, was is n' G'frorn's?«
    »E G'frorn's is e G'frorn's un dös, wann es noch net trunken haben, dann haben's n' Bier überhaupt noch net trunken.«
    »Wollten Sie mir nicht wenigstens sagen, wie so e G'frorn's hergestellt wird, denn zum Versuchen wern's doch wohl keins dahaben.«
    »Wie's gemacht wird, ah Sie mein Lieber, da müßten's zu Augsburg den Wirt zum ›Hölzernen Nachttopf‹ fragen. Der hat Ihna, als wenn's in en Winter recht kalt g'wesen, e paar Fasserln in sein Hof naus g'stellt, bis es a gar ganz g'frorn war.«
    »Das Bier im Faß, das meinen Sie doch?«
    »Ah freili, freili nicks anners. Den Spunden muß ma einschlagen können ins Faß und kein Tropfen a darf auslaufen, kein Tropfen sag' i.«
    »Aber wie soll man trinken, wann kein Tropfen ausläuft.«
    »Mit der Goschen natürli. Aber erst muß mit an Bohrer en Loch durchs Eis durchbohrt sein, daß de Brüh' a auslaafen kann, natürli.«
    »Jetzt begreif' ich, Herr Lehmer. Das was im Bier Wasser ist, hat sich an die Faßdauben rangemacht und ist da selber zu einem Eisfaß geworden, worin nun der alkoholreiche Extrakt eingeschlossen liegt. Da kann ich mir jetzt schon vorstellen, daß dies, was flüssig bleibt, ganz was besonderes sein muß.«
    »Können's das? Na, wartens! Bald's den Winter kalt werden sollt' und i wieder a wink besser bei enand bin, machen wir dös in en ›Vier Jahreszeiten‹ da drüben.«
    Dies Projekt ist nicht zur Ausführung gekommen. Eine Stunde nach seinem Entwurf schon war der tot, der es entworfen. Was mögen die Gefallenen von Königgrätz und Magenta gesagt haben, als der bayerische Scharfschütz beim himmlischen Appell in ihren Reihen stand?
    Um jene Zelt ist mancher noch aus dem Kreise meiner Bekannten ausgeschieden. So was ist immerhin unheimlich. Meine Stimmung war zudem noch durch pekuniäre Verluste getrübt. Um meine Gedanken abzulenken, setzte ich mich an den Abenden hin und schrieb, schriebgroße und kleine Novellen, um sie nach einigen Tagen wieder in den Ofen zu werfen. Nicht jeder Stein, den der Maurer in die Hand nimmt, wird in die Wand gesetzt. Verloren ist aber auch diese Mühe nicht. Man bleibt gewissermaßen im Training und entflieht dem Alltag, von dem nur zu verzeichnen war: Ich ging nach Buchklingen zu durch den Wald. Aus den Brombeerstauden lockte der Schlag eines Dompfaffen. Ein Eichhorn kletterte am braunen Stamm einer Fichte empor. Die Sonne warf rote Lichter übers Unterholz. Aus der Ferne vernahm man das Dengeln einer Sense. Das alles zusammen gab Stimmung. Abendstimmung in die Seele und wenn ich die einmal brauchte, konnte ich sie auferwecken wie Christus den Jüngling zu Nain. Immer bereit stehen und Eindrücke sammeln.

»Es wuchsen einst auf Hildings Gut –«
    lso merkte ich auch auf, als eines Tages meine Frau sagte: »Hast du schon das reizende Wesen gesehen?«
    ›Das reizende Wesen! Als

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