Erlebnisse eines Erdenbummlers
daß es auch nur den allerhungrigsten Gaumen befriedigen konnte. Als ich mich von der Straße enttäuscht nach einer Barbierstube wandte, um nach den blondgelockten Ingeborgs zu fragen, sagte man mir, ich könne eine solcheauf Cooks Reisebüro besichtigen, wenn ich durchaus eine sehen wolle. Ich ging wirklich nach der Office hin und fand dort auch eine Semmelblonde vor, die sich als eine maskierte Dalekarlierin auswies, geboren am Matzeberg in der deutschen Rheinpfalz. Von da ab gab ich das Suchen nach skandinavischen Schönheiten auf und begnügte mich damit, von Zeit zu Zeit meine Reisegenossin zu bewundern, die viel umschwärmt auch als geborene Magdeburgerin das war, was ich seither umsonst an einer Skandinavierin suchte.
Bergen war besichtigt und wir alle wieder an Bord, auch der Feudalkreis Hamburger Kaffeebohnenspekulanten. Diese exquisite Sorte hatte sich lästig gemacht durch ihre Champagnergelage, ihren Manilageruch und ihre Börsengespräche. Mir war die Ausschußware gleichgültig. Wir reisten also friedlich nebeneinander von einem Fjord in den andern und störten einander nicht beim Anglotzen der Gletschermassen, die allenthalben bis ins Meer herunterhängen, und der Wasserfälle, die wie silberne Schlangen am bemoosten Felsgestein herabrieselten. Nein, es war mir nicht möglich, mich satt zu sehen. Ich war sogar eifersüchtig geworden auf die Schönheit des nordischen Landes, so zwar, daß ich deren Mitgenuß keinem anderen gönnte und mich diebisch freute, wenn der Dampfer um eine kühne Felsenecke bog, während im Speisesaal die Gesellschaft die Nasen über einen gesottenen Stockfisch beugte, da genoß ich allein, ganz allein. Um gar nicht in meinen Träumen gestört zu sein, schlief ich fast gar nicht mehr und war zumeist schon stundenlangauf dem Promenadendeck, wenn in den Kabinen noch niemand an ein Aufstehen dachte.
Als ich eines Morgens mal wieder so saß und meinen Regenmantel derartig um mich drapiert hatte, daß er meine Unterhosen verdeckte, kam ein Frühaufsteher von den Hamburger Übermenschen auf mich zu.
»Guten Morgen, Herr Doktor,« sagte er gnädig.
»Guten Morgen,« war meine devote Antwort.
»Schöne Aussicht heute?«
»Schöne Aussicht.«
»Reisen Sie allein hier im Norden?«
»Nein, mit einer Reisegesellschaft.«
»Ich meine, ob mit Gemahlin oder nicht?«
»Oder nicht.«
»Sie sind wohl überhaupt noch nicht verheiratet?«
»Doch und habe sogar schon einen Sohn, der zurzeit in der Gießener Burschenschaft den Schläger schwingt.«
»Was Sie nicht sagen. Vor Jahren habe ich in Würzburg zwei Gießener gekannt, von denen der eine Kemperdick hieß und der andere Karrillon.«
Nun durfte die Sache dramatisch werden. Ich sprang von meinem Sitze auf und sah dem Hamburger ins Gesicht. Trotz der Glatze, die einen früher schwarzen Haarwuchs überklebte, erkannte ich plötzlich einen alten Studienfreund.
»Knallprotze,« fuhr ich auf ihn los. »Soll ich dir sagen, wer du bist? Bist du nicht einer, der einmal auf der Marienburg gesessen und nun zu Hamburg sich aufeinem Senatorsessel rekelt? Rot mußt du übrigens heute noch heißen, wenn nicht inzwischen ein schwarzer Adler dir durchs Knopfloch deines Gehrockes gefahren sein sollte.«
»Hat er nicht getan, Karrillon, und weißt du, woran ich dich wiedererkenne? An dem Schmiß in deiner Nasenspitze. Herrgott haben wir uns damals gefreut, wie du von einer Marburger Gastspielreise übel zugerichtet zurückkamst. Dreißig Jahre, und keiner hat vom andern mehr ein Wort vernommen. Und nun führt der Zufall uns hier im Norden zusammen, eine Minute übrigens nur vor dem Augenblick, der uns wieder trennen wird! Sind die Schindeldächer da nicht Lördals am Sognefjord? Hier muß ich das Schiff verlassen. Aber nicht wahr, du besuchst mich doch, wenn du wieder einmal nach Hamburg kommst?«
Ich versprach's dem Abgehenden in die Hand hinein. Gehalten hab' ich dies Versprechen bis heute noch nicht. Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert, so mag es denn auch der nach Hamburg sein.
Unser Schiff schlängelte sich einem Aale gleich an drei, vier Wochen lang durch die engen Wassersträßchen des wildzerklüfteten Landes hindurch. Bald kamen die Häuschen zutraulich an den »Sigurd Yarl« heran, bald wichen sie scheu vor ihm zurück und schauten von überragenden Klippen herunter ängstlich in seinen Schornstein hinein. So näherten wir uns allmählich dem Städtchen Molde, das für diesmal der nördlichste Punkt der Reise sein
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