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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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zum letzten Satz, da verliere ich den Faden. Welche Enttäuschung! Der Verkehr muss wieder fließen, aber nach zehn Minuten hält die Polizei erneut den Verkehr an, ich halte das Statement noch einmal und diesmal gelingt es bis zum Ende. Spontan klatscht diesmal auch meine von Fernsehabenteuern hartgesottene Crew Beifall.
    In meinem Statement fragte ich: »Was wird die Zukunft sein für den Islam hier und in anderen Ländern, wer werden die Erben sein dieser 1300-jährigen Religion und Kultur?
    – Werden es die Modernisten und Säkularisten sein, die meinen auf Islam, Religion überhaupt verzichten zu können?
    – Oder aber die Traditionalisten und Fundamentalisten , die mit einer genauen Befolgung der religiösen Schriften meinen diesen Gesellschaften wieder ein neues geistig-moralisches Fundament geben zu können?«
    Meine Hoffnung war und ist, »dass sich weder die einen noch die anderen voll durchsetzen. Sondern dass diejenigen wieder größeres Gewicht bekommen, die die Substanz des Islam bewahren wollen, aber zugleich die Botschaft des Korans in die heutige Zeit hinein zu übersetzen versuchen. Also weder ein gottloser Säkularismus noch ein weltfremder Fundamentalismus. Vielmehr eineReligion, die gerade dem Menschen von heute wieder einen Sinnhorizont, ethische Maßstäbe und eine geistige Heimat zu vermitteln vermag. Eine Religion jedenfalls, die nicht trennt und spaltet, sondern eine Religion, die verbindet und versöhnt.«
    Was ich an der Bosporus-Brücke über Islam und Christentum sagte, gilt auch für alle anderen Religionen: »Was unsere Zeit vor allem braucht, sind Brückenbauer , Brückenbauer im Großen und im Kleinen. Brückenbauer, die bei allen Schwierigkeiten, Gegensätzen, Konfrontationen doch das Gemeinsame sehen: das Gemeinsame vor allem in den ethischen Werten und Haltungen. Die sich zu diesen gemeinsamen ethischen Werten und Maßstäben bekennen – und sie auch zu leben versuchen.«
    Voraussetzung für einen echten Dialog ist gegenseitige Information. Und Information führt normalerweise zur gegenseitigen Herausforderung. Und diese Herausforderung führt, wenn sie in der richtigen Weise aufgenommen wird, schließlich zur gegenseitigen Transformation. Dialog als gegenseitige Information, Herausforderung und Transformation: Dies gilt auch – und hier stellen sich noch ganz andere Fragen – für den Dialog mit der Welt des Judentums.
    Szenenwechsel.

VI. Meine Welt des Judentums
    »In Jerusalem war ich Zeuge eindrucksvoller Bemühun-gen um gegenseitiges Verständnis und die Koexistenz von Juden, Christen und Muslimen. Jede Gruppe war bestrebt, alle anderen zu ver-stehen und gleichzeitig der eigenen Identität treu zu bleiben. Ich muss zugeben, dass dies keine Massen-bewe-gung war. Bemühungen dieser Art waren ziemlich begrenzt und bekamen kei-ne gro-ßen Schlagzeilen. Doch allein dass es sie gab, beweist, dass eine solche Ver--ständigung möglich ist.«
    Friedenspreisträger Teddy Kollek, Bürgermeister von Jerusalem (1965   –   93)
    Das Judentum ist für mich als christlichen Theologen so grundlegend, dass ich es in meinem Buch »Christ sein« (1974) nicht einfach in den Horizont der Weltreligionen einordnete. Ist mir doch bewusst, dass das Judentum den Wurzelboden darstellt, aus dem das Christentum gewachsen ist. Denn Jesus, seine Familie, seine Jünger, seine Gebete, seine Bibel, sein Gottesdienst waren allesamt jüdisch. Und jüdisch war die Urgemeinde. Ohne Judentum kein Christentum. Doch ist mir auch klar: Zwischen Juden und Christen hat beinahe von Anfang an Feindschaft geherrscht. Aber diese Einsichten in das Verhältnis von Judentum und Christentum sind mir keineswegs von Jugend auf bewusst. Ich erinnere mich:
    Erfahrungen mit dem lebendigen Judentum
    Mein ursprüngliches Verhältnis zum Judentum war völlig unproblematisch gewesen. Wie im ersten Erinnerungsband berichtet, ist mein Großvater mit unserem jüdischen Nachbarn am Rathausplatz gegenüber, dem Tuch- und Kleiderhändler SIEGMUND HEIMANN , befreundet, und mein Vater mit dessen Sohn LEO , wie auch – bereits in der dritten Generation – meine Schwester und mein Schwager in Sursee mit dessen Sohn KURT HEIMANN , der auch mir zum Freund wurde.
    1942   –   48 – Kantonales Gymnasium Luzern : Selbstverständlich und unkompliziert war auch mein Verhältnis zu meinen beiden Klassenkameraden jüdischen Glaubens in Luzern, MICHAEL LEPEK und SALY UNGAR. Von uns allen ohne Ausnahme werden sie freundlich behandelt; in

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